Opus 6 – Zu Regers Notation der Crescendo-/Decrescendo-Gabeln
Christopher Grafschmidt
1.
In der Stichvorlage der Partitur von Opus 6 finden sich bei Zeilenwechseln eine ganze Reihe Gabeln, die zwar unmittelbar aneinander anzuschließen scheinen, die aber nicht als Fortsetzung, sondern jeweils separat notiert sind: Bei Decrescendo-Gabeln endet die Gabel vor dem Zeilenwechsel geschlossen, bei Crescendo-Gabeln beginnt diejenige nach dem Zeilenwechsel neu.
2. Stichvorlage der Partitur
In der Stichvorlage der Partitur kommt dies in den Singstimmen 17-mal vor. In der anschließend entstandenen Stichvorlage der Singstimmen hat Reger in diesen Fällen, wenn sich die beiden Takte in einer Zeile befinden, zwölfmal eine durchgehende Gabel notiert:
- Nr. 1: T. 13/14 (S/A/T), 20/21 (B), 63/64 (T/B), 69/70 (A)
- Nr. 2: T. 10/11 (T), 14/15 (A), 17/18 (S)
- Nr. 3: T. 35/36 (A), 53/54 (T)
In Nr. 2, T. 17/18, sind Sopran und Tenor unterschiedlich behandelt (Tenor: zwei Gabeln), was jedoch keinen Sinn ergibt. Ein (nicht mitgerechneter) Sonderfall sind in diesem Zusammenhang in Nr. 1 die Takte 69/70 im Sopran, wo Reger in der Stichvorlage der Partitur vor dem Seitenwechsel (wie im Alt) eine geschlossene Gabel notierte, auf der folgenden Seite jedoch vermutlich irrtümlich nur eine Gabel zwischen die beiden Systeme schrieb; in der Stichvorlage der Singstimmen ist die Gabel dennoch durchgezogen.
Zweimal notierte Reger in der Stichvorlage der Singstimmen nur eine Gabel im jeweils zweiten Takt und verfuhr genauso im Korrekturabzug:
- Nr. 1: T. 42/43 (A)
- Nr. 3: T. 19/20 (T)
Dass bei Gabeln, die in der Stichvorlage der Partitur getrennt notiert sind, im Erstdruck (ohne Beteiligung des Korrekturabzugs) nur eine eintaktige Gabel gestochen ist, kommt in fünf Fällen vor.
Ebenfalls zweimal sind in der Stichvorlage der Singstimmen die beiden Takte wie in der Stichvorlage der Partitur in zwei Zeilen und die Gabeln auch getrennt notiert:
- Nr. 1: T. 48/49 (S), 106/107 (S)
Dies sind die einzigen vergleichbaren Fälle, in denen im Erstdruck in den Chorstimmen zwei unmittelbar aufeinanderfolgende Gabeln in einer Zeile gestochen sind.
3. Stichvorlage der Chorstimmen
In der Stichvorlage der Singstimmen kommt dies (zwei Gabeln bei Zeilenwechsel), einschließlich der zuletzt genannten zwei Fälle, 16-mal vor. In der zuerst entstandenen Stichvorlage der Partitur befinden sich in 14 Fällen beide Takte in einer Zeile, und zwölfmal notierte Reger eine durchgehende Gabel:
- Nr. 1: T. 11/12 (A), 25/26 (T), 31/32 (A), 34/35 (T), 40/41 (S), 60/61 (T), 70/71 (A), 98/99 (S)
- Nr. 2: T. 18/19 (T)
- Nr. 3: T. 36/37 (T), 50/51 (T), 66/67 (S)
Ein gutes Beispiel ist hier wohl von Nr. 3 der letzte gesungene Takt (67, eine halbe Note), wo eine neu ansetzende Decrescendo-Gabel nach bereits gut zwei Takten Decrescendo nicht sehr überzeugend wirkt.
Die Takte 21/22 der Nr. 3 (B) bleiben unklar, da zum einen die bis T. 23 reichende Decrescendo-Gabel in der Stichvorlage der Partitur erst in T. 22 beginnt und zum anderen in der vorliegenden Kopie der Stichvorlage der Singstimmen die Gabel in T. 21 kaum zu erkennen ist.
Problematisch sind in Nr. 3 auch die Takte 57/58 (T) aufgrund der unvollständigen Notenkorrektur von T. 58 in der Stichvorlage der Partitur sowie der unklaren Positionierung der Gabel (vgl. Alt und Sopran).
Die verbleibende Stelle – Nr. 1, T. 107/108 (T) – fällt aus dem Raster, da hier infolge der Ersetzung von fol. 5 in der Stichvorlage der Partitur und nicht zu Ende gebrachter Korrektur die Stichvorlage der Singstimmen zwei widersprüchliche Stände präsentiert; die letztlich geltende und in der Stichvorlage der Partitur festgehaltene Fassung ist jedoch anders gelagert und daher hier nicht relevant.
4. Korrekturabzug
Im Korrekturabzug musste Reger nicht nur nahezu sämtliche Phrasierungsbögen im Klavier nachtragen, sondern auch zahlreiche Crescendo-/Decrescendo-Gabeln. Dass er bei einem Zeilenwechsel zwei separate Gabeln einzeichnete, kommt nur einmal in Nr. 1, T. 39/40 (T), vor, wobei die zweite Gabel keine Vorlage in der Stichvorlage der Partitur hat (dort ist nur in T. 39 eine Gabel bis zum Taktstrich notiert).
Viermal hat Reger zu einer gestochenen Gabel im Korrekturabzug eine Gabel hinzugefügt, wobei jeder Fall anders gelagert ist. In Nr. 1, T. 57 (T), ist in der Stichvorlage (kein Zeilenwechsel) die im Vortakt beginnende Crescendo-Gabel noch bis weit in T. 58 gezogen und fand beim Druck nach dem Zeilenwechsel schlicht keine Fortsetzung. Im selben Takt im Klavier reicht in der Stichvorlage die Gabel aus dem Vortakt nur knapp in T. 57 und wurde daher von Reger analog zum Tenor ergänzt. In Nr. 3 hat Reger in T. 54 (Kl) die zweite Gabel aus der Stichvorlage (Seitenwechsel) im Korrekturabzug (Zeilenwechsel) nachgetragen und in T. 58 (Seitenwechsel) in Alt, Tenor und Bass gleiche, lediglich eintaktige Crescendo-Gabeln eingetragen (vgl. b.), obwohl nicht nur das gestochene ff (außer im Bass, dort nachgetragen) wie im Sopran erst am Ende des Folgetakts steht, sondern auch in der Stichvorlage der Partitur im Bass, anders als in Alt und Tenor, eine durchgehende Gabel notiert ist.
5. Klavier
Für die Klavierstimme gibt es kein autographes Pendant zur Stichvorlage der Singstimmen als mögliches Korrektiv. Vergleichbare Fälle können daher, abgesehen von inhaltlichen Wahrscheinlichkeiten (siehe etwa Nr. 1, T. 84/85), nur in Analogie zu den Singstimmen gelöst werden, falls nicht bereits, unbeanstandet von Reger, der Stecher für den Druck Fakten geschaffen hat (siehe etwa Nr. 1, T. 99/100 und Nr. 3, T. 19/20).
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Authors:
Christopher Grafschmidt
Date:
14th November 2022
Tags:
Module IIChoirsVol. II/11
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Citation
Christopher Grafschmidt: Opus 6 – Zu Regers Notation der Crescendo-/Decrescendo-Gabeln, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/rwa_post_00028, version 3.1.0-rc3, 20th December 2024.
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