Wiesbaden, 9th December 1894
Max Reger to Anton A. Gloetzner
Washington (D.C.),
Library of Congress,
Music Division,
ML 95. R44
- Max Reger
Mein lieber hochgeehrter Herr Glötzner!
Ihren freundlichen liebenswürdigen Brief […]
die Suite e-moll op. 16 für Orgel wurde Anfang 1895 vollendet; Reger erstellte für die Oper Ingo von Philipp Rufer (1844-1919), die 1896 uraufgeführt wurde, einen Klavierauszug für die Proben; die Erfolglosigkeit des Werkes hatte Reger vorausgesehen; der vierhändige Klavierauszug der Oper Esther von Eugen d’Albert (Albert-B1 des Reger-Werkverzeichnisses) wurde Ende Oktober 1894 vollendet
- Trio h-moll op. 2
- Suite in E minor op. 16
- Five Duets op. 14
- Ten Songs op. 15
Der junge Reger. Briefe und Dokumente vor 1900, hrsg. von Susanne Popp, Wiesbaden 2000 (= Schriftenreihe des Max-Reger-Instituts, Bd. XV), S. 222–224
Jurriaan Harold Meyer, Max Reger. Rezeption in Amerika. „Die amerikanischen Ohren sind doch etwa so gebaut wie die deutschen“, Bonn 1992 (= Veröffentlichungen des Max-Reger-Instituts, Bd. 11), S. 139–141
1.
Wiesb. 9. Dezember [von fremder Hand: 1894]
Mein lieber hochgeehrter Herr Glötzner!
Ihren freundlichen liebenswürdigen Brief habe ich erhalten u. sage Ihnen herzlichsten Dank dafür. An Augener werde ich heute noch schreiben u. ihm Ihre Klavierstücke angelegentlichst empfehlen; ich habe, trotzdem ich sie leider nur flüchtig durchgesehen habe, sehr großes Gefallen u. Interesse an Ihren Stücken gefunden u. werde ich dieselben direkt wenn sie erscheinen mir einspielen u. öffentlich zum Vortrag bringen; schade, daß ich ein so schlechter Klavierspieler bin. Ich werde an Augener schreiben, daß er mir die Korrekturen schickt, denn bis dieselben übers Meer hin u. zurückgehen, vergeht zu viel Zeit u. würde das Erscheinen um 3–4 Wochen verzögern, außerdem weiß ich, daß Sie so viel zu thun haben, daß ich Ihnen diese Arbeit, in der ich auch noch dazu so viel Übung habe, gerne abnehmen möchte. Ferner werde ich an Augener schreiben, daß, im Falle er die Klavierstücke nicht nehmen will, er mir das Manuskript sendet, damit ich dann bei deutschen Verlegern damit ankommen kann. Ich hoffe, daß Ihnen dies recht ist; denn es würde so viel Zeit wegnehmen, wenn das Manuskript nochmals an Sie zurückginge. Ferner wollte ich noch mit Ihnen wegen des Honorars bereden. Ich halte es für besser wenn Sie vorläufig auf eine Honorierung verzichten; es ist leider so, die Verleger werden so überlaufen, daß sie gar kein Geld mehr rausrücken wollen; eventuell könnte ich bei Augener vielleicht erreichen, daß Sie bei der 2. Auflage eine Entschädigung bekämen; groß würde sie allerdings nicht ausfallen, denn die Verleger halten Ihr Geld sehr zurück. Zugleich erfülle ich die angenehme Pflicht, Ihnen zu dem so sehr erfreulichen Ereignis in Ihrer Familie von ganzem Herzen zu gratulieren. Möchten den beiden Erdenbürgerinnen stets ein sonniges Leben beschieden sein!
Unterdessen ist im Musikalischen Wochenblatt eine große Kritik (mit Notenbeispielen) von A. Smolian über meine Werke erschienen. Höchst günstig, so daß Mottl in Karlsruhe mir schrieb, daß er in seinen Kammermusiksoireen gleich mein Trio op 2 aufführen wird. Nächstens erscheinen Duette op 14, Lieder op 15; schaffen Sie Sich selbe an; ich hoffe, Sie werden manches darin finden, was Sie interessieren dürfte. Mit meiner Orgelsonate getauft Suite für Orgel [op. 16] geht es langsam. I. Satz „Fuge“; zweiter Satz Adagio, III Satz „Passacaglia“. Die Orgelsonate werde ich Ihnen zusenden, sobald sie erscheint, doch wird es immer noch ½ Jahr dauern. Wenn Sie in Amerika die Aufführung von irgend einem Werke von mir ermöglichen könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar u. bitte ich dann um Zusendung des Programmes nebst Kritiken. Mir liegt ja an Kritiken eigentlich gar nichts; allein man braucht die „gnädigen“ leider Gottes.
Die Oper von Rüfer1 ist leider Gottes noch nicht fertig; es ist eine Schweinearbeit u. steht das Honorar von 300 M in gar keinem Verhältnis; allein in der Not frißt der Teufel Fliegen.
Ich habe hier überhaupt einen ziemlich schweren Standpunkt. Ich übe ziemlich scharfe Kritik gegenüber dem Dilettantismus u. bin auch meinen Kollegen schon wegen meinem Werke hier ein Dorn im Auge u. so kommt es, daß es nicht sonderlich angenehm ist u. ich hier außer „Riemanns“ eigentlich gar niemanden habe, mit dem ich verkehre. Denn die anderen sind meistens so von ihrer musikhistorischen Bedeutung überzeugt, dabei so weit zurück in der Kenntnis der zeitgenössischen Literatur, ferner gegen den „jungen“ Reger so voller Überhebung, daß ich ein Zusammentreffen mit den Herrn nur vermeide. Und so lebe ich hier sehr sehr einsam; eine sogenannte „Liebe“ ist ebenfalls nicht vorhanden u. so schleicht eben ein Tag nach dem anderen davon in vielem angestrengten Stundengeben u. nächtlicher Arbeit. Am Tage komme ich zu gar keiner schriftlichen Arbeit – u. so muß ich die Nächte dazu hernehmen, u. wenn dann ganz Wiesbaden schläft, so arbeite ich noch lange u. lange. Und so komme ich keinen Tag vor 3, 4 Uhr morgens zum Schlafen u. muß in der Frühe schon wieder da sein auf dem Platz. Was mich frisch erhält, ist meine innere Ruhe u. Gelassenheit u. „Wurschtigkeit“; ich denke mir immer, ich kanns abwarten.
Die Ouvertüre von Eugen d’Albert, die ich für Klavier zu 4 Händen bearbeitete [RWV d’Albert-B1] hat mir auch 100 M eingetragen; d’Albert war sehr zufrieden u. nennt die Bearbeitung ausgezeichnet. Und so geht’s halt eben weiter ohne eigentliche künstlerische Anregung, die man hier gar nicht haben kann.
Und nun muß ich Sie noch um etwas bitten. Wenn Sie die Güte haben wollten, mit mir in ständigen Briefwechsel zu treten, so wäre das nun für mich die größte Freude – nur möchte ich bitten, daß Sie mich nicht so mit Schmeicheleien wie in Ihrem Briefe bedenken, denn ich verdiene sie ja gar nicht. Ich fange ja erst an u. wenn ich auch den besten Willen habe, es ist doch noch nicht alles so wie ich es haben wollte in meinen Werken. Ich hoffe daß es mir mit der Zeit gelingt, das noch anhaftende „Schlackwerk“ abzustreifen u. dann wirkliche Werke zu schreiben. Nach äußeren Ehren etc etc ist ganz u. gar nicht mein Bestreben u. mir genügt, wenn mir einige meiner Kunstgenossen Sympathie zukommen lassen u. so bin ich Ihnen für Ihr gütiges Interesse deshalb so dankbar.
Empfehlen Sie mich bestens Ihrer hochgeehrten Frau Gemahlin u. erfreuen Sie recht balde mit einem Briefchen
Ihren
ergebensten
Max Reger
Wiesbaden
Bleichstr. 39 II.
Meine Vorschläge an Augener betr. daß er mir das Manuskript samt Korrekturen schickt ist Ihnen doch recht.
In allergrößter Eile.
Object reference
Max Reger to Anton A. Gloetzner, Wiesbaden, 9th December 1894, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01006527.html, last check: 22nd November 2024.
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