München, 28th January 1904
Max Reger to Jean Paul Ertel
Bonn,
Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek,
SN 19 Autogaphensammlung Nr. 178 (olim: Ii 98 / 178)
- Max Reger
Herrn
Dr Paul Ertel
Berlin W 35
Flottwellstraße 4II
Sehr geehrter Herr Dr!
Verzeihen Sie frdl, wenn ich Ihren letzten, überaus liebenswürdigen […]
Das Konzert g-Moll für Violine solo op. 17 war vermutlich das einzige Solokonzert des Liszt-Schülers Paul Ertel; die Violoncellosonate op. 78 wurde schließlich erst im Mai 1904 vollendet
- Schlichte Weisen op. 76
- Sonate F-dur op. 78
- Serenade G-dur op. 95
1.
[Gedruckter Briefkopf:]
Max Reger
München
Preysingstrasse 1bI. München, den 28. Jan. 1904..
Sehr geehrter Herr Dr!
Verzeihen Sie frdl, wenn ich Ihren letzten, überaus liebenswürdigen Brief erst heute beantworten kann; ich war verreist. Ich bin hocherfreut, daß ich Sie, wie Sie selbst mir schreiben, nun zu den „Meiningen“ zählen darf, d.h. zu jenen Künstlern, die mein Schaffen mit Interesse u. ohne Vorurtheil verfolgen. Seelisch berührt mich z.B. es nicht allzusehr, wenn über mich geschimpft wird oder wie hier in München eine ganze Clique auf die Fahnen geschrieben hat: Reger um Gottes willen nicht aufkommen zu lassen, denn ich mir bewußt, daß ich nie der Eitelkeit schaffe, sondern stets um der Sache (nie der Person) willen arbeite! Nichtsdestoweniger müßte ich aber lügen, wenn ich sagen würde, es berührt mich gar nicht, wenn z.B. meine Werke hier z.B. von eben besagter Clique in Grund und Boden vermöbelt werde, eben weil die Sachen von mir sind! Es kommt da noch ein Moment hinzu, das scheinbar davon nicht abhängig ist. Ich meine das Pekuniäre. Es ist klar, daß ein Komponist wie z.B. ich, der in 99 % aller Kritiken vermöbelt u. in Folge dessen eben wenig aufgeführt wird, einfach keine besonderen Honorare von den Verlegern verlangen kann. Es ist deshalb nicht gerade angenehm zu wissen, daß z.B. Herr X oder Y für eine Arbeit das 5fache bekommt, u. man weiß dessen Arbeit ist zum Mindesten minderwertig! Wir sind Menschen, u. kann ich mich in Folge dessen von einer gewissen Verbitterung drin nicht freisprechen, wer aber z.B. weiß, daß ich seit Jahren nicht 8 Tage Ruhzeit mir gönnte, daß ich Tag für Tag, jahraus u jahrein jeden Tage meine 14 Stunden arbeite, sodaß mir Spazierengehen oder sonstige Erholungen sozusagen unbekannte Dinge sind – nun der würde verstehen, wenn ich etwas bitter geworden bin in Anbetracht dessen, wie ich schon oft u. oft so entsetzlich honoriert werde. Nun genug davon!
Es würde mich auf das Allerlebhafteste interessieren, Ihr „Concert für die Geige allein“ kennen zu lernen u. zwar aus mehreren Gründen: 1.) imponiert mir Ihre Idee, ein Konzert für die Geige allein zu komponieren ganz außerordentlich; endlich, endlich endlich mal ein Komponist, der keine symphonische Dichtung mit 36 Harfen schreibt; sodann auch deshalb, weil ich über manche Ihrer Orgelcompositionen schon äußerst Schmeichelhaftes hörte –u 3) weil ich hoffe, noch aus Ihrem Concert für die Geige allein wieder was Neues lernen zu können! Wäre es Ihnen denn nicht möglich einen unserer Geiger dafür zu interessieren? Freilich, es geht haarig schwer einen Herrn Virtuosen zu gewinnen; ich kenne das zu gut aus eigener Erfahrung! Verlieren Sie den Mut nicht; hoffentlich haben auch Sie gelernt, – zu warten u. wenn es auch mit zusammengebissenen Zähnen sein muß.
Sie wollen wissen, woran ich arbeite: nun eine Sonate (Fdur) für Violoncello u. Pianoforte [op. 78] ist fast fertig; eine Serenade für kleines Orchester [späterSinfonietta op. 90] (übliche klassische Besetzung (à la Brahms) ist feste in Arbeit; außerdem einige einfachste Lieder im Volkston – ! [op. 76 Nr. 1–7] Ich sehe Sie sehr erstaunt den Kopf schütteln: Reger u. Lieder im Volkston!
Nehmen Sie zum Schlusse nochmals verbindlichsten Dank für Ihren freundlichen Brief, die Bitte, um gütige Entschuldigung, wenn ich denselben erst heute wegen meiner Reise beantworten kann u. die besten Grüße
Ihr
mit ausgezeichnetster Hochachtung
ergebenster
Reger
Object reference
Max Reger to Jean Paul Ertel, München, 28th January 1904, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01009633.html, version 3.1.0, 23rd December 2024.
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