25th February 1944
Karl Straube to Hans Klotz
Karlsruhe,
Max-Reger-Institut/Elsa-Reger-Stiftung,
Ep. Ms. 3480
Dr.
Hans
Klotz
Flensburg
[...] Der 14. Juni 1903 ist der Tag, an dem ich gelegentlich [...] […]
1.
Penig (Sachsen), den 25. Febr. 1944
[…] Der 14. Juni 1903 ist der Tag, an dem ich gelegentlich des deutsch-schweizerischen Tonkünstlerfestes des genannten Jahres Max Regers Symphonische Phantasie und Fuge op. 57 und „Ein feste Burg“ op. 27 im Basler Münster spielte, die Aufsehen erregten, aber auch starken Widerspruch erfuhren. […] In Basel habe ich dann Max Reger gebeten, mir ein Orgelwerk ohne Bezugnahme auf evangelische Choräle schreiben zu wollen, damit ich in vorwiegend katholisch orientierten Städten ein nicht kirchlich gebundenes Stück für mein Programm hätte, und schlug ihm als Form Variationen und Fuge über ein eigenes Thema vor. Das ist die Entstehungsgeschichte von op. 73 und die Lösung des Rätsels der Widmung.
Wenn Sie das Werk als religiös empfinden, so haben Sie recht damit, Regers ganze Kunst hat Beziehungen zu den metaphysischen Bezirken. Alles, was Sie über den formalen Aufbau sagen, ist richtig, auch die Deutung der Einleitung ist überzeugend. Ruhig fließende Achtel geben das Tempo der Fuge. Die Dynamik des Schlußsatzes liegt in mittleren und schwächeren Tönen, denn es lebt ein schwebendes, nicht kraftvolles Wesen in dieser Fuge. Erst im letzten Drittel beginnen die Steigerungen, vielleicht sogar erst im letzten Viertel, ich habe die Noten nicht vor mir liegen. Der Schluß führt dann zu dem Vollen Werk der Orgel in einem breiten Zeitmaß. –
Max Reger kommt von Beethoven und den Romantikern her, Johannes Brahms hat den stärksten Einfluß auf ihn ausgeübt. Unter allen Orgelkompositionen von Max Reger steht dieses op. 73 am meisten in geistiger Beziehung zu den aus der nachklassischen Musik des 19. Jahrhunderts empfangenen Eindrücken, insbesondere von Robert Schumann und Johannes Brahms. Unmittelbar darauf in ziemlich schneller Folge erscheint sein Meisterwerk, das d-Moll-Streichquartett op. 74. Der Achtfuß-Klang herrschte in dem Klangbewußtsein des Komponisten vor, auch als sein Geist mit dem Schaffen der Orgelvariationen beschäftigt war. Ebenso war ihm der vergötterte Brahms sehr nahe und damit die vieldeutige Intimität des Kammermusikstiles, der auch dem Gewebe des polyphonen Gewandes von op. 73 den kennzeichnenden Einschlag gab. Ich habe das Stück mit einem meiner Schüler, Goering aus Eisleben, vor mehreren Jahren studiert, als die Saalorgel des Konservatoriums eine von Ihnen sicherlich verabscheute und verdammte Kompromiß-Orgel war. Die aus den Mitteln des Instrumentes sich ergebenden Klangwirkungen waren überzeugend und ließen der Vielfalt der vom Komponisten geforderten Dynamik Gerechtigkeit widerfahren. Seit einer Reihe von Jahren, etwa 1938, haben wir im Saal eine Barockorgel gemäß den strengen Gesetzesordnungen der „Orgelbewegung“. Auf diesem Instrument habe ich das Stück noch nicht ausprobiert. So kann ich Ihnen nur den Rat geben, nach den Gegebenheiten des Instrumentes Ausdruck und Klangfarbe zu differenzieren, ohne ins Kleinliche oder allzu Subjektive zu verfallen. Die in sich ruhende Einheit des Ganzen muß bewahrt bleiben. Das Gleiche gilt für die wechselnden Zeitmaße, die untereinander ausgeglichen werden müssen und nie ins Extrem verfallen dürfen. Reger hat in allen Vortragsangaben, dynamisch und agogisch, sich einer solchen Unmäßigkeit hingegeben, daß seine Angaben bei nicht denkenden Menschen mehr Verwirrung als Klarheit geschaffen haben. Das was er erreichen wollte mit seinen Adagissimi, Vivacissimi, molto agitato, più molto agitato, Andante (quasi allegro vivace), stets nie hervortretend, mit der ganzen Skala von bis ist ein seelisch bewegter Vortrag. Die Anwendung von FD Zugs-Geschwindigkeiten im Zeitmaß, oder Hochdruck von Sirenengeheul ist ein Verbrechen gegen seine Kunst. Das gleiche gilt von dem Gegenteil an Schnecken-Langsamkeit und nicht mehr zu hörendem Gesäusel. Ihre Registerangaben für das 12/16-Intermezzo sind richtig; so habe ich mit Goering-Eisleben dies Problem auch gelöst.Einen Einfluß auf die Vortragsbezeichnungen dieser Variationen habe ich nicht gehabt.
Um die „Variationen“ den Zuhörern nahezubringen, wird Ihnen nur der Weg übrigbleiben, den ich gegangen bin: das Stück zweimal in demselben Konzert zu spielen, dazwischen Choralvorspiele von J.S. Bach. Oder Sie künden eine Reihe von Orgelkonzerten an und spielen in jedem Konzert, außer Werken von anderen Meistern, immer wieder dieses opus 73. Dann werden die Zuhörer die Schönheit und innerliche Größe des Werkes vielleicht erfassen.
[…]
Object reference
Karl Straube to Hans Klotz, 25th February 1944, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01013189.html, version 3.1.0, 23rd December 2024.
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