Kolberg a. Ostsee, [undated]

Max Reger to Henri Hinrichsen, C.F. Peters Ltd & Co. KG

Object type
Letter
Date
undated

not before 22nd August 1909
nach dem 21. August 1909

Sent location
Kolberg a. Ostsee
Source location
DE,
München,
Bayerische Staatsbibliothek,
Fasc. germ. 61, 188

Senders
  • Max Reger

Incipit
Lieber Herr Hinrichsen!
Anbei sende ich an Sie „eingeschrieben“ die Abzüge des Kl. A. des […]

Regesta
sendet eingeschrieben die Abzüge des Psalms [op. 106], übermittelt Fehler in den Chorstimmen • berichtet, dass Schlesinger einen Feierlichen Marsch der Ritter des Johanniterordens von Strauss übersandt haben mit der Bitte um Bearbeitung für Orgel [Strauss-B2], ist über das angebotene Honorar »baff« • bedauert, wie sehr sich Strauss »prostituiert« • äußert sich allgemein über Begabung und Können • bezeichnet sich als deneinzigen, »der sich gegen die „Versumpfung“ im Liszt’schen ungesunden Fahrwasser entgegenstemmte!« • schenkt dem E. das Manuskript des Klavierauszugs
Remarks

Publications

Max Reger, Briefwechsel mit dem Verlag C. F. Peters, hrsg. von Susanne Popp u. Susanne Shigihara, Bonn 1995 (= Veröffentlichungen des Max-Reger-Instituts, Bd. 13), S. 335–345

1.

Colberg a/Ostsee
Hucke 14.

Lieber Herr Hinrichsen!

Anbei sende ich an Sie „eingeschrieben“ die Abzüge des Kl. A. des Psalms [op. 106]. Es fehlt nicht viel; also ist neuer Abzug an mich nicht nötig!

Anbei finden Sie 8 Seiten, auf denen ich noch einige Fehler in den Chorstimmen genau verzeichnet habe; (dieselben sind im Klavierauszug schon verbessert.) Bitte, sorgen Sie dafür, daß diese Fehler in den Chorstimmen (1. 2. u. 3. Theil) sofort verbessert werden u. auch beim Stich der Partitur mit verbessert werden!

Seite 24 des Klavierauszuges darf nicht so [Schlussstrich] gestochen werden; sondern es muß so heißen: [Doppelstrich mit Fermaten]; es geht ja gleich weiter! Bitte, ordnen Sie dieses Zeichen [Doppelstrich mit Fermaten] (2 gewöhnliche Taktstriche mit [Fermate] auch für die gleiche Stelle der Partitur an! Ferner bitte ich Sie, bei Zahl 20 besonders angeben zu wollen, daß Altstimme so gestochen wird: [Nbspl.]; es ist Gefahr, daß das [b] vor e da vergessen wird.

Lachen Sie nur kräftig über mich Pedanten; aber es ist doch besser, ich bin „vorsichtig“ als passiert ein Versehen!

Nun eine Sache entre nous: Vor 2 Tagen sendet mir Schlesinger einen „Feierlichen Marsch“ zum Einzuge der Ritter des Johanniterordens. Ich soll denselben für Orgel bearbeiten!1 Er bietet mir dafür ein Honorar in einer Höhe, daß ich baff war; (es sind vielleicht höchstens 6 Seiten!) Dieser Marsch ist – von R. Strauß! So sollte sich aber Strauß nicht prostituieren; anders kann ich das Machwerk nicht beurtheilen; jeder Komponist schafft mal ein Gelegenheitswerk – aber so tief, so tief darf ein Strauß nicht herabsteigen! – Natürlich hat Schlesinger dafür an Strauß ein enormes Honorar bezahlt – aber: glaubt er denn wirklich, daß damit überhaupt was zu verdienen ist?

Ich kenne mich in Strauß nicht mehr aus! Je älter ich werde u. je mehr Erfahrung ich sammle, desto unumstößlicher wird in mir der – vielleicht nicht ganz zeitgemäße – Idealismus, daß Begabung u. Können verpflichtet, d.h. daß man gar nicht genug Selbstkritik haben kann, daß es unsere verdammte Pflicht u. Schuldigkeit ist, immer besser u. besser zu komponieren, eine aufsteigende Linie im Schaffen zu haben. (wie ich sie Gott sei Dank bei strengster Selbstprüfung bei mir fühle)

Das ist der einzige Weg, der sowohl Autor wie selbstredend auch dem Verleger die felsenfeste Garantie gibt, daß sich das Lebenswerk nicht nur ideal sondern auch „real“ verwirklicht! Gewiß bin ich dafür, daß der Autor angemessen honoriert wird; aber solche Geldschneiderei geht denn doch nicht; Strauß ist da auf falscher Bahn, die sich bitter rächen muß! – Wissen Sie: wenn ich ein „gemeines Luder“ wäre, so müßte ich eine „Herzensfreude“ haben, daß mein „Antipode“ solche Wege geht – aber ich kann nur tiefst bedauern, daß eine solch große Begabung so verkommt!

Was Sie mir in Ihrem letzten Briefe alles schrieben, hat mich sehr gefreut! Die „guten Musikanten“ werden nach u. nach auf Violinkonzert [op. 101], Prolog [op. 108], Psalm [op. 106] alle anbeißen; in 5 Jahren hat die Sache ein anderes, ein bedeutend anderes Bild; denken Sie doch daran: vor 6 Jahren glaubte jeder Mensch mit Recht seine billigen Späße über meine „verrückten, total unmöglichen“ Kompositionen machen zu können u. zu dürfen! Und heute: trotz aller „Weisheit“ der „Preßhelden“ geht es halt einfach nicht mehr, mich „auszuschalten“! Halten Sie Folgendes nicht für arrogant: einer Musikgeschichte in 50 Jahren wird es klar sein, daß ich der einzige war, der sich gegen die „Versumpfung“ im Liszt’schen ungesundem Fahrwasser entgegenstemmte! Ich war derjenige, der als bewußter Fortschrittler sans phrase doch den Strom wieder in das Bett: Bach, Beethoven, Brahms geleitet habe! Leute wie Bruch, Gernsheim etc etc zählen gar nicht mit, weil die durch Brahms längst erstickt sind!

Das Manuskript des Klavierauszuges des Psalms [op. 106] gestatte ich, mir Ihnen zu verehren; nehmen Sie es bitte frdl. entgegen.

Bitte, haben Sie die Güte, mir den Empfang dieses Briefes wie der Abzüge des Klavierauszuges u. dieses Mnscrpt selbst zu bestätigen. – Ich habe eine neue Idee! Ich sage Ihnen dieselbe mündlich!

Nun viel beste Grüße von Haus zu Haus
immer Ihr alter
Reger, der
hier soeben einen glänzenden fidelen Streich ausgefressen hat!
Darüber mündlich! „Mir hoabm Hamur!

Die Bögen in den Singstimmen, die Herr Schäfer einzeichnete u. die ich wieder ausstrich, dürfen nicht gestochen werden!


1
Feierlicher Einzug der Ritter des Johanniterordens o.op. 103 TrV 224, bearbeitet für Orgel, Posaunen und Pauken ad lib. RWV Strauss-B2.
Object reference

Max Reger to Henri Hinrichsen, C.F. Peters Ltd & Co. KG, Kolberg a. Ostsee, [undated], in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01002089.html, last check: 22nd November 2024.

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