Wiesbaden, 21st April 1892
Max Reger to Adalbert Lindner
Weiden,
Stadtmuseum Weiden, Max-Reger-Sammlung,
L 18
- Max Reger
Lieber Freund!
Entschuldigen thue ich mich grundsätzlich nicht. Ja diese Woche […]
- Klavierquartett A-dur
- Sonate D-dur op. 3
(jew. unter 21. 4. 1893) Der junge Reger. Briefe und Dokumente vor 1900, hrsg. von Susanne Popp, Wiesbaden 2000 (= Schriftenreihe des Max-Reger-Instituts, Bd. XV), S. 144–146
Robert Scherwatzky, Die großen Meister deutscher Musik in ihren Briefen und Schriften, Göttingen 1942, S. 342
Max Reger, Briefe eines deutschen Meisters. Ein Lebensbild, hrsg. von Else von Hase-Koehler, Leipzig 1928, S. 32–33
Adalbert Lindner, Max Reger. Ein Bild seines Jugendlebens und künstlerischen Werdens, Stuttgart 1922, S. 85, 274, 292–293
1.
W. den 21. April. [1892]
Lieber Freund!
Entschuldigen thue ich mich grundsätzlich nicht.
Ja diese Woche ist Dein Namens als Geburtstag.
Und ich ergreife die Feder u. schreibe also:
„Zu Deinem Feste alles Gute u. noch viel mehr Gutes dazu.“
Deine Gesundheit wird hoffentlich derartig sein, daß Du nichts daran zu wünschen hast; Geld, Geld zu wünschen ist doch eigentlich Vandalismus!
Wie geht es Dir & den Deinen?
Ich fühle mich ganz wohl; bin natürlich wieder umgezogen u. führe ein freies freies Leben ——————
Componier den ganzen lieben Tag & rauche dazu.
Denn die Regel dreimal verschlafen, vergnügen & verrauchen imponiert mir ganz gewaltig.
Ich bin heute mal wieder sehr übermütig aufgelegt; habe auch vollen Grund dazu; bin soeben bei einem Quartett für Clavier, Violine, Bratsche & Cello in A dur. [RWV Anhang B3]
Ja, denke Dir nur einmal, letzthin hab ich eine Sonate für Klavier & Violine (in 4 Sätzen) komponiert in D dur [Opus 3]; nun A dur; da kommt wohl nächstens E dur dran.
Meine 2. Violinsonate [op. 3] solltest Du hören.
Da herrscht ein Leben drin; der 1. Satz recht innig u. nicht schnell sich mehr der Andanteform nähernd. Dann das Scherzo ein Canon zwischen Klavier & Violine
das Trio des Scherzos gar ein 3stimmig. Canon. u dann das Adagio recht breit, recht breit u das Finale mit einem urgemütlichen Thema! Wenn der Humor im letzten Satze auch manchmal etwas arg wird, so waltet über das ganze doch eine eigentümlich wehmütige Farbe – das kommt von wegen der mixolydischen Vorliebe, die ich habe; nämlich aufrichtig gestanden – ich studiere sehr fleißig alte Kirchentonarten u bringe in meine Komposition so manche Wendung hinein die eben auf unserm tonalen Erfindungsfelde nicht wächst. Z.B. hat letzthin ein persönlicher Freund v. Brahms das Thema des Finale meiner 2. Sonate für ein Thema der letzten Werke von Brahms gehalten.
Selbst Riemann sagte mir, daß ich den Brahms ganz famos kennte. Ich werde Dir das Thema beilegen. Nämlich Brahms ist der einzige, von dem man in unsrer Zeit – ich meine der einzige unter den lebenden Komponisten – von dem man etwas lernen kann – u. ich kann behaupten ohne dabei im geringsten arrogant zu werden, daß ich Brahms sehr gut verstehe. Brahms ist vor allem ein riesiger Gefühlsmensch; ein Mann voll energischem festem künstlerischem Bewußtsein; u doch sag ich Dir, würde er mich furchtbar schlecht behandeln – wenn ich mit ihm zusammen käme, weil er zu neidisch ist; er glaubt nämlich, daß man diese Wendung voll tiefster Schwermut wie er sie hat nicht machen könnte – ich hab es aber fertig gebracht – weißt Du da ist er gerade so wie ein gewisser Hans von Bülow.
Dem hat nämlich Fr. Dr. Riemann auch von mir geschrieben – ist – bis jetzt noch keine Antwort da.
Aufrichtig gestanden, ich wünsche Brahms nicht persönlich kennen zu lernen; denn da würde die große Verehrung die ich für ihn habe, sehr zu Schaden kommen; da er zu neidisch ist.
Ich habe die 2. Violinsonate [op. 3] Theodor Kirchner gewidmet. Was er wohl dazu sagen wird. Das Trio [op. 2] das Du ja kennst ist Dr. Carl Fuchs in Danzig gewidmet. Nämlich der rennt ganz Danzig auf & ab & predigt von einem neuen Messias; so eine Natur ist das.
Schade daß Du ihn nicht kennst. Er war letzthin hier; wir waren abends bei Riemanns, u als wir fortgingen, da lud er mich ein ins Café zu gehen u. da saßen Dr Fuchs u ich allein bis um 5 Uhr früh im Café u. redeten immer über Phrasierung. Denke Dir mal ein Mann von 50 Jahren, groß, mit Haaren à la Liszt u. mit einem Feuereifer für Riemann, den er auf den Knien anbetet. Wenn der Mensch überhaupt erscheint mit seinem Kopf, ich kann Dir versichern er macht äußerlich mehr Eindruck als Riemann selbst [–] dieser Riesenkopf u. die Haarmähne.
Er ist aber ein famoser Klavierspieler; er spielt mit wunderbarer Empfindung!
Nun haben wir aber auch einen neuen Kollegen namens Ötteking von Hamburg.
Der ist aber ein Schaf; der will großer Ästhetiker sein: hat keine Ahnung; er ist zu dumm.
Für mein neues Klavierquartett in A dur muß ich mir wohl die Geiger etc selbst erziehen, denn die Sache ist zu prekär.
Nun lebewohl, schreibe auch mal
Deinem
Max Reger.
Der heute mal wieder in sehr übermütiger Laune ist.
Mir geht es gut; ich lebe frei u. denke frei.
Das ist die „Hauptsache“ wie die alten Bäuerinnen sagen
Nun gibt’s gar noch Tintenkleckse.
Ich bin unschuldig! Die Tinte ist dran schuld – u. mein Federhalter, ist von Aluminium, also sehr leicht. Kann man sehr schnell damit schreiben – auch schlecht wie ich es thue. Allein wenn man immer die Feder zur Notenschrift gebraucht, so kommt einem das „Schönschreiben“ ganz abhanden. Macht nichts. Wenn man nur seinen Bach, Beethoven & Brahms gut kennt. Lebewohl.
Lebewohl.
Mein Schlaf wird immer ärger; es ist bereits 12 Uhr; ich habe bis jetzt gearbeitet.
2.
[In übergroßer Schrift quer über dem Text der ersten Seite:]
Ich gratuliere
~
Moi même
— — — — — —
Zum Geburts- wie Namenstage
Wie schön ist die Welt!
Object reference
Max Reger to Adalbert Lindner, Wiesbaden, 21st April 1892, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01007897.html, version 3.1.0, 23rd December 2024.
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