Wiesbaden, 10th May 1894
Max Reger to Max Seiffert
Karlsruhe,
Max-Reger-Institut/Elsa-Reger-Stiftung,
Ep. Ms. 428
- Max Reger
Mein lieber verehrter Herr Dr!
Gratuliere herzlichst! Sie böser heimtückischer Mensch […]
Klebestreifen
Der junge Reger. Briefe und Dokumente vor 1900, hrsg. von Susanne Popp, Wiesbaden 2000 (= Schriftenreihe des Max-Reger-Instituts, Bd. XV), S. 191f.
Musica 12 (1958), S. 260f.
1.
Wiesbaden, den 10. Mai 94.
Mein lieber verehrter Herr Dr!
Gratuliere herzlichst! Sie böser heimtückischer Mensch, so ahnungslos lassen Sie einen, um dann plötzlich uns zu überfallen. Ich wünsche Ihnen aufrichtigst u. herzlichst das Beste; möchte Ihnen nur Glück & Segen aus diesem wichtigen bedeutungsvollen Schritte erblühen. Wann die Hochzeit ist, kann ich wohl noch nicht erfahren? Oder wollen Sie Ihre Fräulein Braut gar entführen. Zutrauen könnte man es Ihnen schon. Es ist doch merkwürdig, bisher waren Sie der einzige unter meinen Gönnern u. Freunden, der noch nicht in den stillen Hafen der Ehe eingelaufen; jetzt steuern Sie ja auch mit allen Riesenkräften dem Hafen zu. Und da stehe ich nun ganz allein, hab nicht Weib noch Kind – ach ich könnte elegisch werden – allein ich tröste mich denn wie mal unser würdiger Herr Pfarrer zu uns Schülern der Lehrerbildungsanstalt sagte, als einige von uns entdeckten, daß es auch feminini gäbe (anno 1889): [„]Ihr Buben, seid ihr doch gescheit; es gibt genug Mädle, u. jeder kriegt noch eine!“ Dieser sokratische Ausspruch des alten Herren war mein einziger Halt in meinem von der Last der Jahre so gedrücktem Leben. Wie ich Ihnen doch à discretion erzählte von einer Dame, ich löse die Sache in den nächsten Tagen; denn wenn mann mir in den letzten Wochen mit so absichtlich zur Schau getragener Geringschätzung begegnete, bin ich zu stolz, um zu betteln u. niederzuknieen. Sie wissen doch, daß ich in dem Hause verkehrte. Ich habe seit 3 Wochen allen Verkehr eingestellt u. betrete das Haus nicht mehr. Denn wenn ich lediglich „geduldet“ bin, so geduldig bin ich nicht um das auf die Dauer ertragen zu könen. Darum Adieu! Gott befohlen.
Überhaupt sind die hiesigen jungen Damen von einer Vergnügungssucht, daß es einen schaudert. Und ist es hier kein Wunder wenn gut situierte Herren es vorziehen nicht zu heiraten, weil es zu arg ist; Sie sollten das mal sehen – bitte discretion.
Ferner habe ich noch die ergebene Bitte an Sie mir doch näheres mitzuteilen betreff der Kritik über meine Lieder op 8 & 12 von Paul Moos. Was ist der Herr? Es wäre mir doch sehr interessant von Herrn Moos die nähere Begründung des Ausdruckes „Formlosigkeit“ zu erfahren. Ich bin an J.S. Bach, Beethoven u. Brahms von der Muttermilch an groß geworden u. es gibt doch einen Satz: „Der Gedanke schafft sich selbst die Form“ u. ich glaube in den Liedern nicht mehr Verstöße gegen die „Form“ begangen zu haben als mancher andere Komponist.
Was ist überhaupt „Form“! Ich finde, daß über dieses Wort so viel geredet wird u. noch nicht viel Positives Reales herauskommt. Man sehe doch die Vielseitigkeit den Reichtum der Bach’schen Fugenform an!
Und wenn Herr Moos glaubt, ich wüßte nicht was ich schreibe, so kann ich Ihnen versichern, daß ich mit Absicht manchmal so schreibe. Was meinen Sachen bisher fehlte war die Ruhe u. die Abgeklärtheit! Es machte meine Arbeit einen nervösen Eindruck durch die verschiedensten kombinierten Rhythmen etc etc. aber „formlos u. Unnatur“ sind doch 2 Ausdrücke, die entschieden zu scharf sind. In wie weit ich mich auf dem Irrpfade befinde, weiß ich nicht; aber mein Streben etc wird mir Herr Moos doch nicht abstreiten können.
Nun haben Sie die Güte mich Ihrer Fräulein Braut bestens empfehlen zu wollen u. Seien Sie bestens gegrüßt
von Ihrem
Ihnen so ergebenen
Max Reger
Wiesbaden, Bleichstr. 39
Object reference
Max Reger to Max Seiffert, Wiesbaden, 10th May 1894, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01000443.html, version 3.1.0-rc3, 20th December 2024.
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