Weiden, 6th September 1895

Max Reger to Ferruccio Busoni

Object type
Letter
Date
6th September 1895 (source)
Sent location
Weiden
Source location
DE,
Berlin,
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz,
Musikabteilung,
Mus.Nachl. F. Busoni B II, 4053

Senders
  • Max Reger
Recipients
Herrn Benv. Ferruccio Busoni
Tonkünstler, Komponist
Berlin W.
Tauenzienstr 10.

Incipit
Mein bester, hochverehrtester Herr!
Ihr so liebenswürdiger, mich so sehr erfreuender Brief […]

Regesta
bekundet seine Abneigung gegen Kompositionswettbewerbe, da Vergleichsmaßstäbe problematisch seien und »der Neid, die Mißgunst« gefördert würden • beklagt sich zudem, dass der Rubinstein-Preis unzureichend ausgeschrieben gewesen sei • freut sich über positives Urteil des E. bezüglich seiner Jugendwerke • bekundet, das Gros dieser Werke vor dem 20. Lebensjahr geschrieben zu haben • schämt sich für das eine oder andere Werk • bekundet, in den letzten zwei Jahren »alles, sogar Fr. Liszt« studiert zu haben, »dem ja Riemann jede schöpferische Begabung abspricht« • verweist darauf, durch Studium alter Meister »die Einflüsse [von] Brahms schon mehr zurückgedrängt zu haben« • drückt seine Hochachtung gegenüber den Werken des E. aus • dankt dem E. für die Widmung der »Klavierstücke« (Sechs Stücke op. 33b) • verspricht, dem E. sein zweites Klavierkonzert zu widmen
Remarks

Busoni hatte 1890 beim Rubinstein-Kompositionswettbewerb für das Konzertstück op. 31a den ersten Preis gewonnen • zur Komposition eines Klavierkonzerts kam es offenbar erst im Herbst 1895

Referenced works

Publications

Der junge Reger. Briefe und Dokumente vor 1900, hrsg. von Susanne Popp, Wiesbaden 2000 (= Schriftenreihe des Max-Reger-Instituts, Bd. XV), S. 253–255

Allgemeine Musik-Zeitung 63/20 (1936), S. 319

1.

Weiden, 6. Sept. 95.

Mein bester, hochverehrtester Herr!
Ihr so liebenswürdiger, mich so sehr erfreuender Brief traf gestern ein. Und so soll es heute nun mein Erstes sein, Ihnen vor allem besten Dank dafür zusagen. Ich werde Ihren liebenswürdigen Brief genau beantworten u. fange gleich mit dem Rubinstein-Preis an. Verzeihen Sie also meine Offenheit, wenn ich ganz meiner Überzeugung nach schreibe – also nicht zürnen, bitte, bitte. Ich habe eine unüberwindliche Abneigung gegen alle Preiskonkurrenzen; den Grund dafür sehe ich darin, daß es ganz unmöglich [ist,] von mehreren Werken [ – ] u. es sind durch Preiskonkurrenzen doch i¯mer eine ganz erkleckliche Zahl – einfach eines als das beste zu bezeichnen, besonders we¯n die Kompositionen von jüngeren Tonsetzern herrühren – u. dann wird gerade bei Preiskonkurrenzen weniger der Wetteifer als der Neid, die Mißgunst gefördert, welche zwei schönen Eigenschaften gerade unter den Dienern – halt! Rosenthal schreibt „Heroen“ – der edlen Musika leider sehr verbreitet sind. Meiner ganz u. gar unmaßgeblichen Ansicht nach wäre es viel besser, man nähme das Geld u. errichtete jungen Komponisten vor Allem Gelegenheiten ihre Werke aufgeführt zu sehen u. zu hören – u. daraus kö¯nte vielleicht viel Ersprießliches entspringen. Ferner mache ich gerade bei der Bewerbung um den Rubinsteinpreis unseren Musikzeitungen den Vorwurf, daß sie viel zu spät darauf hingewiesen! Die erste Nachricht davon las ich Mitte Juni. Und dann war für mich noch ein Umstand geltend; Sie wissen, ich habe Kontrakt mit Augener; hätte ich den Preis nun nicht gewonnen, so wäre das nun eine entsetzliche Blamage für mich Augener gegenüber gewesen. Und ich hätte auch das verlangte Kammermusikwerk nicht mehr bis zu der Zeit fertig stellen können. Also zürnen Sie mir nicht, bitte, bitte.
Was Sie mir betr. meiner Erstlingswerke geschrieben, ehrt mich ja so ungemein; ich schrieb Ihnen ja, daß der größte Teil davon noch vor meinem 20. Lebensjahre geschrieben ist u. daß man in diesem Alter noch nicht künstlerisch gereift sein kann u. sich notgedrungen anlehnt, liegt auf der Hand! Glauben Sie mir, ich wünschte nichts sehnlicher, als manches meiner leider schon erschienen[en] Werke wäre nicht geschrieben. In den letzten 2 Jahren habe ich hauptsächlich studiert – u. zwar alles, sogar Fr. Liszt, dem ja Dr. Riemann jede schöpferische Begabung abspricht, welchen Glauben u. welche Ansicht ich nie u. nie geteilt habe u. auch nie teilen werde. Jetzt werde ich noch mehr mich in größeren Rahmen d.h. größeren Formen [Einschub: „ein“]arbeiten. Daß der Horizont der Fantasie besonders wenn man wie ich in Brahmsschen Geleise fährt im Anfange, also ein ziemlich eingeengter ist, habe ich schon länger auch empfunden – u. glaube ich durch mein wirklich eifriges Studium der Meister in den letzten Jahren jetzt die Einflüsse [von] Brahms schon mehr zurückgedrängt zu haben.
Was Sie aber in Bezug auf Ihre Werke selbst schreiben, ist so sehr zu bescheiden, als daß ich nicht dagegen opponieren müßte. Ich bin in die meisten Sachen geradezu verliebt, besonders in die Variationen über das Thema von Chopin. Oder was soll ich Ihnen denn über Ihr Quartett [Einschub: „NB“] (Finale) schreiben! Oder wer wäre im Stande eine derartige hochgeniale Bearbeitung der Bach’schen Chaconne zu schaffen wie Sie! Gerade diese Bearbeitung, welche für die dilettantischen Spieler, wie sie hier am Orte sind, noch technisch am ersten zu bewältigen ist – (für die graziösen, huschenden Balletscenen fehlt den Leuten der Anschlag) werde auch hier nach Kräften empfehlen.
Und für die Widmung der Klavierstücke danke ich Ihnen herzlichst u. aufrichtigst mit dem Versprechen Sie mit einem größeren Originalwerke (2. Klavierconcert) zu überraschen; diese Bacharrangements sind ja doch nur Bearbeitungen u. ist es also doppelt liebenswürdig von Ihnen dann gleich mit einem Originalwerke zu antworten. Also machen Sie sich nur gefaßt auf die Widmung des 2. Klavierkonzertes. Dann habe ich noch eine große Bitte an Sie, senden Sie mir doch Ihr Bild; es würde mich unendlich freuen.
Nun zürnen Sie mir nicht wegen meiner Offenheit betr. der Rubinsteinpreisbewerbung u. haben Sie für Alles u. besonders für die Widmung nochmals herzlichsten Dank.
Sie werden nächsten Winter doch in Wiesbaden od. Frankfurt a/M spielen, bitte mich dann nur mit Postkarte benachrichtigen zu wollen u. ich freue mich schon sehr darauf, Sie persönlich kennen zu lernen.
Ihnen beste Erholung von den Anstrengungen der letzten 3 Wochen wünschend, mit ganz vorzüglichster Hochachtung u. Dankbarkeit
Ihr
stets aufrichtigst u. freundschaftlichst
ergebenster
Max Reger.
Weiden, bayerische Oberpfalz.

Vom 17. Sept. ab Wiesbaden Bleichstr. 39 II.

Object reference

Max Reger to Ferruccio Busoni, Weiden, 6th September 1895, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01002430.html, last check: 8th November 2024.

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