Schneewinkl-Lehn, 10th April 1902
Elsa Reger to Max Reger
Karlsruhe,
Max-Reger-Institut/Elsa-Reger-Stiftung,
Ep. Ms. 3037
- Max Reger
1.
Sch-L. d. 10 April 1902.
6 Uhr.
Lieber Freund!
Da ich doch nicht mehr schlafen kann, will ich Ihren Brief Ihrer Bitte nach sofort beantworten. Danke es geht besser, ich stehe auf, aber ich habe noch Husten u. Halsweh, u. bin noch etwas marode. Habe nicht Zeit lang über mich zu klagen, da es jetzt heißt Mama pflegen. Es ist wohl Nachwehen von den Herbstaufregungen, die uns Frl. Brandt bereitet mit Hülfe liebreicher Verwandten. Sie spürte es schon länger, klagt nicht leicht, u. so ist sie halt jetzt endlich „niedergebrochen“, u. muß Digetalis nehmen, kein Alkohol trinken, nicht Treppen steigen, u. nur leichte Speisen, kein Gemüse, wenig Fleisch essen. Der Arzt meint nach der Medicin würde das Herz bald wieder kräftiger. Ich bin recht besorgt um Mama. Ich habe im Leben nie etwas lieber gehabt als Mama, da bangt man dann wohl doppelt. Sie darf nun gar nichts hören, was sie aufregt, was ihr arge Grübelei verursacht, weil ihr das ja stets den Schlaf raubt. – Nun vielen, herzlichen Dank für den Choral [WoO VII/34], den ich auch gestern Abend erhielt, da Berthel in der Stadt, die Post mitbrachte. Die Motti1sind gut, werde das meine zu beherzigen suchen. Berthel zappelt vor Angst über das viele Gehupfe ihrer Stimme, d.h. über die Läufe etc. meint das lernt sie nie, ich hoffe wir werden bald vom Gegentheil überzeugt sein. Sowie ich stimmlich möglich, wollen wir tapfer dran, denn am 27. müssen wir es an der Orgel üben, da da Kirche ist, u. wir den Lehrer bitten wollen nach derselben den Choral mal mit uns durchnehmen zu wollen, schreibe Ihnen dann das Resultat, ich sing ja auch zum ersten Mal zur Orgel. Für die Chor u Duett Hefte danke ich Ihnen auch sehr, ich glaube in den Marien-Liedern [op. 61e] sind manche die für Berthel u. mich passen, das wird uns dann noch manche Freude bereiten. Es ist zu freundlich von Ihnen, mir so viel Noten zu senden, ich kann mich nur in keiner Beziehung für Ihre vielen, kostbaren Gaben revangieren. – Nun wegen des Mannes meiner Freundin. Eine zankische Frau? Nein, lieber Freund, das ist meine Anna nicht, gegen ihren Mann die gute Stunde in Person. Ich habe mit ihr nie einen Streit gehabt, ich wüßte nicht, wie bei ihrem stets liebreichen Wesen das möglich wäre. Anna wartet auf ihn, ohne ihn in dem Zustand je einen Vorwurf zu machen, ja sie läßt ihn in ihrem Arm schlafen, wovor ich mich schütteln würde, den nächsten Tag pflegt sie ihn, wie ein kleines Kind. Sie ist die zärtlichste herzlichste, gereifte Frau, die man sich nur ausmalen kann. Alles stellt sie ihm ohne ein böses, ja nur empfindliches Wort vor. Er hat mir selbst gesagt, „ich habe nicht für (nicht für) 5 ₰ Energie.“ Ich war oft innerlich ganz wild, u. gefürchtet habe ich mich, ich danke. Anna ist an Geduld u. gleichbleibender Güte faktisch ein Engel u. ihn rührt das alles nicht, er läßt sie am ersten Geburtstag als Frau in solcher Angst, u. Geld kostet das, o Gott. Es ist ein Jammer. Anna ist solch guter Mensch, hätte besseres Loos verdient. Nein, der Mann hat keinen Grund. Er trinkt Bier, dazwischen immer Schnaps. Liquer darf Anna nie im Hause haben. Ich kann halt nicht anders sagen, als mich ekelt das Wesen eines Mannes von 35 Jahren, der klug u. talentiert ist, u im Charakter so unzuverlässig ist, daß er stets eine Kinderfrau braucht, geht er aus, gradezu an. Ich hatte in Posen das Vergnügen, diese Würde zu bekleiden, weil Anna ein paar Mal zusammenbrach, feines Amt. Sehen Sie offen gestanden bei Ihnen muß auch immer jemand mitgehen, u. das ist mir halt jetzt auch erst in den Sinn gekommen. Als Sie damals Abends im Hospiz blieben, sagte Ihre Mama ja vor Ihnen, „als ich hörte er sei soliede bei Ihnen gewesen, war ich ganz beruhigt“. Also muß sie doch Grund zur Angst haben, daß wenn Sie sonst allein fort sind, nicht soliede bleiben, u. wie lange ist es her, daß Ihnen der Sekt mit Boehe glaub ich, so schlecht bekam? Das haben aber Sie mir erzählt. Weder Ihre Mama noch Schwester haben mir gesagt wann Sie das letzte Mal – u. ich fragte nicht danach. Nur als ich Frl. E. im Concert fragte, warum sie mir denn nie geschrieben, sagte sie, „was sollte ich denn berichten, Gutes wie Sie es meinen in der Beziehung, konnt ich nicht, da schwieg ich lieber ganz.“ – Und nun soll ich fest bauen, daß ich die Macht hätte. So eingebildet u. unklug ist man mit 31. Jahren nicht mehr. Wie fest habe ich gehofft Bercken würde als mein Mann nie mehr spielen, auf der Kirchfahrt, gelobte er es mir mit Wort u. Handschlag, welche Macht traute ich mir zu, wie felsenfest glaubte ich ihm, u. es kam so anders. Wenn sich ein Mann aus eigner Kraft nicht ändert, ein Weib vermag es auf die Dauer nicht, habe ich noch daran gezweifelt lehrt es mich die letzte, verzweifelte Zeit meiner armen Freundin. Sie können noch über kein Jahr berichten indem Sie nicht von Ihrer Krankheit heimgesucht sind. wenn ich Ihnen darin Unrecht thue, wiederlegen Sie mich! – Sie haben Recht, meine ersten Briefe waren für Sie besser. Welch Menschenkind möchte denn nicht im eigenen Heim glücklich werden? Und geistig bieten Sie mir ja so enorm viel, daß es einer 1000 x klügeren Frau begeistert genügen würde. Ihre Art verstehe ich, u. könnte ihr nachempfinden. Ihre Künstlerschaft alles das muß mir ja doch den Sinn fesseln, der Stimmung habe ich ganz nachgegeben. Je mehr ich aber in der hiesigen, stillen Ruhe denke, desto mehr fühle ich, ich muß auch dem Mensch M. R. das entgegen bringen, was ich dem Künstler biete. Ich weiß ohne Liebe ist Ihnen nicht geholfen, u. ich kann so nicht existieren in einer Ehe. Sie hoffen diese Liebe kommt, ich aber kann das nicht als Faktum annehmen, das müssen Sie doch auch als Wahrheit anerkennen. Sie schreiben, wenn Sie meine Briefe von den 4 Wochen durchlesen, u. dann, daß sie dieselben stets verbrennen, dann aber haben Sie sie doch nicht mehr zum durchlesen? – ? – Anbei lege ich Ihnen den Brief für Frl. Emma zum 13. bitte ihn ihr an dem Tage zu geben. Ihre Bücher sende ich mit den wohl aufbewahrten Kritiken nächstens an Sie, habe fast alles gelesen, u. lese es aufmerksam, ich habe jetzt so wenig Zeit dazu. Ich lese Mama jetzt ein Buch in Versmaß vor „Dreizehn Linden“ v. Weber. Sehr hübsch. Ihnen wird ja schlecht, wenn Sie vorlesen hören, fällt mir ein, sagten Sie hier vor 3 Jahren! – Ich stelle mir in Ihnen keinen Unmenschen vor, ich kann mir aber nicht denken, wie ein Mann mein Gatte sein soll, ich sein Eigen bis zum Tode, wenn ich nicht jubelnd bei der Frage, „willst Du mein sein“ an sein Herz fliegen kann. Darum kann ich Sie mir leider Gottes eben nicht als meinen Ehemann denken. Welche bösen Folgen Alkohol hat wußten Sie auch, als ich in Rom war, da schrieben Sie mir darüber, wie jetzt, ich that Ihnen damals kein Leid, u. doch, u. doch. – Vorwurf, bei Gott nein, aber es soll Ihnen nur beweisen, wie wenig man seinem Herzen Befehle geben kann, Sie nicht, ich nicht, u. ich thäte es gern. Ihre Leidenschaft im vorletzten Brief hat mich halt ganz benommen, ich finde mich dann so rasend undankbar, u. kann’s nicht ändern, ich brauche Ruhe sonst kann ich mich nicht prüfen, ich kann doch nichts für meine Natur. Glauben Sie mir, wäre ich weniger fein organisiert, würde ich nicht so lange sinnen, aber nachher. Und wäre ich schon ihre Braut u. merkte, ich kann Sie nicht lieben, ich sagte dann noch nein bei Gott. Sie kennen noch keiner Ehe Zwang, aber ich! – Ja verstehen Sie es denn nicht, daß ein beseitetes Wesen wie ich leidet, wenn sie sieht, ein Mann liebt Dich so zart u. glühend, u. Du erwiederst nur mich Wertschätzung u. Freundschaft, Dein Herz kann das tiefe Liebesgefühl für ihn nicht hegen. Man kommt sich vor, als raube man dem Mann sein Bestes u. kann den Raub nicht mal zurückgeben. Schlecht, herzlos, elend fühlt man sich, u. kann es nicht ändern. Begreifen Sie nun, warum mich Ihre Liebe bedrückt, warum ich schreibe, bestürmen Sie mich nicht so? Möchten Sie, daß ich aus Mitleid ja sage, u. an dem ja dann kranke? Sie merkten es u. würden unglücklich. – Versuchen Sie mich zu verstehen. Ich log Ihnen nie, u. werde es nie thun.
Leben Sie wohl, überarbeiten Sie Sich nicht, Sie gehören der Nation! Elsa.
Exemplar für Bertha von Seckendorff: »Von der Stirne heiß rinnen muß der Schweiß.«
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Elsa Reger to Max Reger, Schneewinkl-Lehn, 10th April 1902, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01005444.html, last check: 12th November 2024.
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