Wiesbaden, 4th October 1891
Max Reger to Adalbert Lindner
Weiden,
Stadtmuseum Weiden, Max-Reger-Sammlung,
L 15
- Max Reger
Lieber Freund & Kunstgenosse!
Da nun heute gerade Sonntag ist u. ich nachmittags Zeit […]
- Der 6. Psalm
- Trio h-moll op. 2
- Schilflieder WoO VII/16
Der junge Reger. Briefe und Dokumente vor 1900, hrsg. von Susanne Popp, Wiesbaden 2000 (= Schriftenreihe des Max-Reger-Instituts, Bd. XV), S. 110–112
Max Reger, Briefe eines deutschen Meisters. Ein Lebensbild, hrsg. von Else von Hase-Koehler, Leipzig 1928, S. 28–29
Adalbert Lindner, Max Reger. Ein Bild seines Jugendlebens und künstlerischen Werdens, Stuttgart 1922, S. 85
1.
Wiesbaden, d. 4 Okt. [1891]
Lieber Freund & Kunstgenosse!
Da nun heute gerade Sonntag ist u. ich nachmittags Zeit habe, mich einmal wieder gründlich in der alten Freunde in Weiden zu erinnern – so – na nu es wirds aber fad! Der Eingang wäre überstanden! Also angekommen hier sehr gut u. sehr gut aufgenommen. Ich war wirklich sehr erfreut, wieder das alte Wiesbaden zu sehen. Es stand alles noch auf dem alten Flecke denn Häuser bleiben bekanntlich stehen.
O Gott soll ich jetzt das Esdur Konzert von Beethoven auswendiglernen! Na da wünsche ich uns daß meine Gehirnzellen noch etwas freier werden bis dieser Koloß reingeht. NB Geduld muß man schon haben! Aber was ist Geduld? Sehr einfach, wenn man eine Gaslaterne so lange kitzelt, bis der Gasdirektor lacht.
Die Ritterschaft blüht sehr! An Kompositionen!
Ja da müßte ja ein Mistbeet im Hirne haben wenn der Compositionssalat so schnell wachsen soll – u. Mist im Hirn zu haben – na da dank ich! Das ist ja schrecklich!
Übrigens einen famosen Vers!
Gefährlich ist’s am Leim zu lecken
verderblich ist ein hohler Zahn
doch das Schrecklichste der Schrecken
ist – Diarrhöe auf Eisenbahn.
Ich habe zwar diese Krankheit nicht gehabt – allein ich kann mir das Fatale dieser Krankheit so gut vorstellen, daß mir allemal eine Ganserhaut über den Rücken läuft.
Ja nun – ja nun – Deine treue Wiesbadenerin hatte natürlich große Freude als ich kam, kam ich doch aus Weiden! O die ist Dir treu!
Man lernt nie aus; das habe ich auch hier wieder gesehen wie ich ausstieg! Stiegen da so viele Wiesbadener mit aus, die etwas – angespitzt von Frankfurt kamen u. demgemäß großen Radau machten.
Jetzt bin ich dabei ein Schiff – ach pardon Schilflied von Lenau zu komponieren [WoO VII/16] u. auch den 6. Psalm für Orgel mit 2 Manualen, Pedal, Violine & Alt (bez. Mezzsopr) Natürlich alles was in diesem Psalm vorkommt kann man nicht komponieren! So z B. heißt es: „Ich schwemme jede Nacht mein Bett[“]
[Einschub:] das thue ich ja nicht
ja das geht wirklich nicht – da mache ich einfach kurzen Prozeß u. werfe diese Sachen heraus!
Ist es in Weiden noch schön Wetter! Ich weiß nicht hier wird es jede Nacht finsterer! Unglaublich, es scheint gerade als würde der Kehrichthaufen des Himmels über Wiesbaden ausgegossen! Schmutz im Regen! Ich finde das ja nicht am Platze! Ich bin doch schließlich auch so ein halber Kurgast – weil ich doch hauptsächlich meiner Gesundheit lebe – u. da kann man von der Badeverwaltung wenigstens anständiges Wetter verlangen!
Mein sehr verehrter Herr College Gustav Cords ist nun die personifizierte Schweinerei geworden – Gott sei Dank ich treffe ihn nur mehr sehr selten u. Herr Greling macht eine so hochweise Miene als wollte er nächstens beweisen daß Darwin doch Recht gehabt hat. Nur Schmid & Behrmann sind die alten geblieben! Nun heißt arbeiten! Ja man feste, u. ich glaube daß es mir am aller aller besten bekommt!
Übrigens wenn Hr Professor Cords mal wagt mich anzugreifen mit Gemeinheit so soll er schon das Richtige zu hören bekommen.
Da hat Schmid was famoses gemacht!
Du kannst Dich vielleicht erinnern, daß ich von dem Cellisten Brühl erzählte der so ein Lümmel ist! Nun ja; dieser Lümmel geht her u. schreibt über Schmid in einem hiesigen öffentlichen Pissoir eine Gemeinheit – Schmid erfährt das u. auch wer es gewesen, trifft den Brühl im Vorplatz des Conservatoriums, Riemann & Fuchs stehen heraußen u haut dem Brühl rechts & links je eine runter! Bravo!
Ja wir haben rechte rechte große Lümmels! Nun ich verkehre mit den Leuten nicht! Aber man sieht’s ja so u. Fuchs ist zu schwach!
Also 1. Probe von meinem Trio [op. 2] war heute! Hat natürlich gar nicht gefallen! Gerade wie ich Dir’s voraus sagte! Die Variationen wären alle so gesucht etc u. es wären doch keine eigentlichen Variationen etc etc! Nun in dem Tone lautete eben das Urteil von Fr. Dr. Müssen sich eben ein bischen daran gewöhnen die guten Leute! Natürlich herrschte wieder allgemeines Entsetzen; von Fr Dr. bekam ich zu hören: „Ja, ja, wenn man über Brahms & Beethoven hinaus will bekommt man solches Zeug heraus! O Gott, weißt Du, gerade wie bei der Sonate [op. 1] geradeso! Ich denke & hoffe die Leute werden sich schon allmählich dran gewöhnen!
Ja, ich selbst mache mir sehr wenig draus, was man nach einer 1. Probe, wo alle prima vista spielen, sagt! Nun, es wird schon gehen!
Nun leb wohl! Sei mit den Deinen
herzlichst gegrüßt von
Deinem
Max Reger.
Ich bin neugierig wann der Adolf nach Max kommt? Also Adieu.
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Max Reger to Adalbert Lindner, Wiesbaden, 4th October 1891, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01007894.html, version 3.1.0-rc3, 20th December 2024.
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