Wiesbaden, 19th December 1893

Max Reger to Adalbert Lindner

Object type
Letter
Date
19th December 1893 (source)
Sent location
Wiesbaden
Source location

Senders
  • Max Reger
Recipients

Incipit
Lieber Freund!
Zwar weiß ich nicht, ob ich jetzt nach der Pause richtig einsetze […]

Regesta
viel zu tun in der letzten Zeit • Musiker sind »durch unser Leben viel mehr Aufregungen etc. ausgesetzt [...] als andere« • weiß nicht, was an der Cellosonate [F-Dur op. 5] »so schwer zu begreifen ist« • kann nichts über Erscheinungsdatum des Choralvorspiels [WoO IV/2] sagen • »Meine Orgelsachen [op. 7] sind erschienen; Lieder op 8, Deutsche Tänze op 10 erscheinen 1. Januar; am 15. Januar erscheinen „Walzer für Pianoforte zu 2 Händen!« [op. 11] • heute nicht weniger als 60 Seiten Notenkorrekturen in 6 Stunden erledigt, dazwischen 3 Unterrichtsstunden gegeben • Lebenshaltungskosten in Wiesbaden • bleibt vornehmlich daheim, ist auch nicht mehr bei Riemanns, was seiner künstlerischen Individualität gut tut • gute Wünsche zum neuen Jahr • »Bis Herbst 1894 habe ich eine große Sammlung Choralvorspiele „Orgel!“ von jedem Charakter fertig!« [WoO IV/3 etc.]
Remarks

außer Komm, süsser Tod! WoO IV/3 hat sich kein Choralvorspiel aus dieser Zeit erhalten


Publications

Der junge Reger. Briefe und Dokumente vor 1900, hrsg. von Susanne Popp, Wiesbaden 2000 (= Schriftenreihe des Max-Reger-Instituts, Bd. XV), S. 165–167

Max Reger, Briefe eines deutschen Meisters. Ein Lebensbild, hrsg. von Else von Hase-Koehler, Leipzig 1928, S. 35–36

1.

Wiesbaden, den 19. Dez. [1893]

Lieber Freund!
Zwar weiß ich nicht, ob ich jetzt nach der Pause richtig einsetze, denn es gibt zu vielerlei; bald ist es das, bald jenes u. so kommt man fast gar nicht zur Ruh! Und jetzt erst wo sich da alle möglichen Sachen wegen des Konzertes einstellen, bald heißts da hin schreiben; es ist eben die Sache die, daß wir Musiker durch unser Leben viel mehr Aufregungen etc. ausgesetzt sind als andere. Ich weiß wirklich nicht übrigens, was in Deinem letzten Briefe gestanden. Ja, jetzt fällt mir’s ein; ich soll also die Cellosonate [op. 5] analysieren; das geht nicht, bis ich nach Weiden komme, was unter Umständen möglich ist, indem ich im Februar von Berlin aus über Weiden nach Wiesbaden fahre. So begreife ich nicht was an der Sonate so schwer zu begreifen ist. Wann das Choralvorspiel [WoO IV/2] erscheint, weiß ich nicht; Du ahnst nicht was es dabei zu thun gibt. Ich habe z.B. Leßmann mindestens für ein Vierteljahr Kritiken geschrieben – wann sollen die alle erscheinen? Doch hoffe ich daß Leßmann es bald bringen wird. Die Absicht hat er soviel ich weiß u. er mir schrieb. Du lieber Heiland man möchte oft verzweifeln, wenn man die Sachen sieht, die da erscheinen; u solch ein Mensch will sich seine Zukunft als Musiker gründen. Meine Orgelsachen [Opus 7] sind erschienen; Lieder op 8, Deutsche Tänze op 10 erscheinen 1. Januar; am 15. Januar erscheinen „Walzer für Pianoforte zu 2 Händen [op. 11]!
Hoffmeister in Leipzig hat jetzt alles vorrätig. Heute hatte ich z.B. nicht weniger als 60 Seiten Korrektur zu erledigen; heute um 8 Uhr früh erhielt ich sie; gab 3 Stunden – um 5 Uhr sind sie wieder fort u. haben meinem Geldbeutel wieder 1,40 M Porto gekostet. Wenn Ihr überhaupt noch so ½ Jahr in Wiesbaden lebtet, da könntet Ihr erst merken, was der Taler eigentlich wenig Geld ist; so ein Stück ist im Nu draußen; man weiß gar nicht, wie schnell das geht. Und dazu sind die Steuern hier ziemlich hoch. Staatssteuer, Stadtsteuer, Kirchensteuer, etc etc. Es ist gar nicht angenehm.
Ich hab mich jetzt hier von allem Verkehr zurückgezogen; lebe nur für mich u. bekoche mich selbst. Wenn mein Zimmer hier schön warm geheizt ist u. ich ordentlich zu rauchen habe, bringt mich kein Teufel aus dem Hause. Es soll aber nicht gut sein, hat man mir gesagt, ich sei seit dem ich hier bin, schon zu sehr verbittert geworden; ich weiß nicht in wie weit die Leute recht haben, für jeden Fall fühle ich mich ganz wohl u. wünsche auch nicht daß sich meine Verhältnisse gerade ändern – außer daß ich mich verbessere – denn mehr Geld kann man immer gebrauchen. Mit Riemann stehe ich mich ganz gut. Es ist ganz gut, daß ich nicht mehr dort esse; abgesehen von der meiner Stellung, meiner künstlerischen Individualität ganz u. gar nicht entsprechenden Oberaufsicht durch seine Frau ist es auch so besser, wenn ich selbständig dastehe, auf keinen Menschen aufzupassen habe u. nur thue, was mir beliebt. Die Hauptsache ist bei mir eben ungestört sein u. nichts zu thun haben mit Quatschereien; denn Wiesbaden ist dasselbe Klatschnest wie Weiden; darum verkehre ich mit niemand u. fühle mich ganz wohl dabei.
Nun zum Hauptpunkt des Briefes; zum Neujahr – ich komme sicher nicht mehr zum Briefschreiben, wünsche Dir u Deiner werten Familie alles das, was Du u. Ihr Euch selbst wünscht – u. ich schließe mit den Worten Glück auf; den Kopf hoch behalten!

Dein Freund
Max Reger

Bis Herbst 1894 habe ich eine große Sammlung Choralvorspiele [Einschub: „Orgel!“] von jedem Charakter fertig! Will sehen, wer die druckt.

Object reference

Max Reger to Adalbert Lindner, Wiesbaden, 19th December 1893, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01007900.html, last check: 22nd November 2024.

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