München, 25th June 1904

Max Reger to Karl Straube

Object type
Letter
Date
25th June 1904 (source)
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München
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Only known from: Transcript, Max-Reger-Institut/Elsa-Reger-Stiftung, Karlsruhe | Ep. As. 3843


Senders
  • Max Reger
Recipients

Incipit
Liebster Carl!
Meine Karte wirst Du hoffentlich erhalten haben, den Herren Lauterbach u. Kuhn […]

Regesta
erkundigt sich, ob der E. sein op. 77b [Streichtrio] Lauterbach & Kuhn vorgespielt habe • formuliert selbstbewusst, dass sein op. 72 [Violinsonate] in Frankfurt [bei der Tonkünstlerversammlung] »nach jeder Richtung hin das beste Werk war« • zeigt Verständnis für die Rückkehr des E. zu den alten Meistern • bekundet: »ich selbst „bade“ mich ja immer in alten Meistern« • klagt über die Talentlosigkeit der modernen Musiker • mokiert sich über Seidl, der geschrieben hätte, sein op. 72 enthielte »„zuviel Hirn!“« • dankt dem E. sein Engagement für sein Werk • spricht über das melancholische Thema von op. 73 [Variationen und Fuge über ein Originalthema] und gibt Notenbeispiel • gesteht, dass es ihm unangenehm sei »mit seinen Stimmungen u. Empfindungen zu „protzen“« • eröffnet die Terminplanung bezüglich eines Konzertes im Gewandhaus in Leipzig • gratuliert dem E. zur künstlerischen Leitung beim Bachfest • bedauert, wegen seiner Konzertverpflichtungen im Oktober dem Fest nicht beiwohnen zu können • zählt seine Konzerte im Oktober auf • berichtet, dass ihn der Verlag Bard & Co auf Empfehlung von Richard Strauss gefragt hätte, die Monographie »„die Kammermusik u. ihre Zukunft“« zu schreiben • bekundet, die Offerte ablehnen zu wollen, da ihm »alles „ästhetische Geplänkle“« zuwider sei • bittet den E. um Aufsatz über seine Kammermusik und Berücksichtigung einiger Werke • informiert, am vierten Satz seiner Sinfonietta [op. 90] zu arbeiten • gesteht: »Ich bete jeden Tag: Gott der Allmächtige möchte uns einen Mozart senden, der thut uns so bitte noth!« • erinnert den E. an sein in Frankfurt gemachtes Versprechen, ihn als Paten seines ersten Sohnes zu bestimmen • äußert seine Absicht, seine Sinfonietta [op. 90] in Graz [bei der Tonkünstlerversammlung] anzunmelden • berichtet, seine finanziellen Ressourcen für das laufende Jahr ausgeschöpft zu haben
Remarks

die Sinfonietta op. 90 war zum Zeitpunkt des Tonkünstlerfestes in Graz (Anfang Juni 1905) noch nicht gedruckt

Referenced works

Publications

Max Reger, Briefe an Karl Straube, hrsg. von Susanne Popp, Bonn 1986 (= Veröffentlichungen des Max-Reger-Instituts, Bd. 10), S. 57–59

1.

25. Juni 1904 (Sonnabend abends 11 Uhr) München, Preysingstraße 1b

Liebster Carl!
Meine Karte wirst Du hoffentlich erhalten haben, den Herren Lauterbach u. Kuhn das op. 77b [Streichtrio a-moll] heute vorgespielt, u. hoffentlich hat Euch drei das Werkchen recht viel Spaß gemacht!
Dein Urtheil über Frankfurt ist auch das meine; ich bin gewiß nicht arrogant; aber so viel ist mir denn doch klar geworden, daß mein op. 72 [Violinsonate C-dur] in Frankfurt nach jeder Richtung hin das beste Werk war; ich verstehe ganz gut, daß Du „reumüthig“ zu den alten Meistern zurückgekehrt bist – u. ich selbst „bade“ mich ja immer in alten Meistern! Diese Musiker wollten nur Musik machen, hatte enorm viel Talent u. ebensoviel wirklich gelernt – die heutigen Komponisten wollen alles andere als Musik machen, haben meistens sehr wenig Talent u. in den seltensten Fällen was Wirkliches gelernt! Das ist der Unterschied! Es ist mir persönlich natürlich Deine Ansicht über mich als Komponisten eine Genugtuung allerhöchsten Ranges, es wäre mir sehr angenehm, wenn auch Lauterbach u. Kuhn u. Hinrichsen diese Deine Ansicht theilen würden! Ich denke es wird auch balde die Zeit kommen, in der Du mit Deiner Ansicht nicht mehr allein dastehen wirst! Dr. Seidl behauptet mein op. 72 enthält „zuviel Hirn!“ Nun, über diesen Vorwurf rede ich nicht, da gerade bei op. 72 dieser Vorwurf direkt hinfällig ist. Daß Du so viel jetzt von mir in der Motette spielst, ist ja hochfein, u. danke ich Dir aufs herzlichste dafür.
Das ist ja fein mit op. 73, daß Du so weit damit bist; ja, was soll ich da angeben: das Werk selbst ist aus einer recht wehmütigen Stimmung heraus geboren; das Thema in seiner Resignation gibt alles an; eine große Rolle spielt im ganzen Werke der „melancholische“ Takt 3 aus dem Thema selbst:
1
Ich glaube, das wird wohl genügen. Du weißt ich spreche darüber so furchtbar ungern, weil ich es als „Pose“ empfinde, mit seinen Stimmungen u. Empfindungen zu „protzen“.

Betreff Deiner so großen Güte, es frdl. vermittelt zu haben, daß ich im Gewandhaus Kammermusik spielen kann, sage ich Dir vor allem herzlichsten Dank! Ich bin am 3. Jan. [1905] in Berlin u. würde es mir am besten passen, wenn Gewandhaus so am 10. Jan. oder 8. oder 9. Jan. wäre, da ich nach dem 3. Jan. (ungefähr 4. oder 5. Jan.) nochmals in Berlin zu thun habe! An Wollgandt werde ich morgen oder spätestens übermorgen schreiben. Es ist ja hochfein, wenn Du da zu gleicher Zeit ein Orgelconcert gibst mit Reger!
Daß Du das ganze Bachfest dirigierst, freut mich ganz außerordentlich; das ist ja ein ganz famose Sache! Gratuliere aufrichtigst aufs Beste dazu. Es ist sehr schade, daß ich da nicht hinkommen kann; aber ich muß im Oktober schon so wie so soviel reisen; am 27. u. 28. Oktober spiele ich mit Marteau mein op. 72 in Genf u. Lausanne; bin wahrscheinlich im Oktober d.h. sozusagen sicher in Frankfurt a. M. um im Museum mit Hugo Becker meine Cellosonate op. 78 aus der Taufe zu heben u. mir mein op. 74 vom Heermann-quartett anzuhören! Außerdem hab’ ich hier im Oktober in 3–5 Konzerten zu spielen – sogar Solo! Denke Dir, heute erhielt ich von Bard & Co. aus Berlin, wo die Monographien für Musik unter Strauss Redaktion erscheinen, auf Strauss’ Veranlassung die Aufforderung, doch eine Monographie „die Kammermusik u. ihre Zukunft“ zu schreiben. Ich werde ablehnen mit der Begründung, daß da alles „ästhetische Geplänkle“ Unsinn ist, daß die Zukunft der Kammermusik lediglich allein von wenigen führenden Geistern, die schaffen, gegeben wird! Und was würde es denn nützen, wenn ich den Leuten 10 000 x sagen würde, daß die heutige moderne Richtung der Kammermusik niemals zum Segen gereichen kann! Mag da prophezeien – wer will – ich schaffe!
Halt: Betreff Deines Aufsatzes über meine Kammermusik bitte ich Dich vor Allem op. 72, op. 77a op. 77b u. op. 78 zu berücksichtigen; also zu warten, bis diese Sachen alle erschienen sind!
Meine „Sinfonietta“ [op. 90], deren erste 3 Sätze Du ja kennst, wächst immer zu; ich hab’ jetzt den 4. und letzten Satz in Arbeit – ein urfideles Ding wird’s!
Ich bete jeden Tag: Gott der Allmächtige möchte uns einen Mozart senden; der thut uns so bitter noth!
Ich bitte Dich sehr, nicht vergessen zu wollen, daß Du mir in Frankfurt versprochen hast, daß ich Pathe bei Deinem ersten Jungen werden darf; da würde mich nämlich diebisch, ganz außerordentlich freuen!
Nun wäre meine Weisheit für heute balde erschöpft; Kritiken über Frankfurt (op. 72) sind ja eine Masse ganz wundervoller erschienen! Ich werde meine „Symphonietta“ für Graz anmelden!

Nun leb wohl, Du glücklicher; Du kannst in die Sommerfrische gehen; ich hab’ dieses Jahr keine Zeit, hab’ auch kein Geld mehr! Meine Damen alle lassen Dich u. Deine holde Gattin aufs Verbindlichste grüßen; viel schönste Grüße Dir u. viel herzlichsten Dank für alles
Dein Max Reger.


1
Der Brief ist in zwei verschiedenen Abschriften überliefert, wobei insbesondere die Schreibweise des Notenbeispiels differiert; sie ist hier folglich nicht diplomatisch wiedergegeben.
Object reference

Max Reger to Karl Straube, München, 25th June 1904, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01007643.html, last check: 8th September 2024.

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