Wiesbaden, 16th November 1894

Max Reger to Arthur Smolian

Object type
Letter
Date
16th November 1894 (source)
Sent location
Wiesbaden
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Senders
  • Max Reger
Recipients

Incipit
Verzeihen Sie, daß erst heute es mir möglich wird, Ihren so liebenswürdigen Brief. […]

Regesta
dankt für Brief und umfangreiche und differenzierte Würdigung seiner Kompositionen [im Musikalischen Wochenblatt] • dankt für Nachricht, dass Mottl das Klaviertrio [op. 2 in Karlsruhe] spielen will • gesteht seine bisherige Neigung zum Alkoholkonsum ein – hat ihn jetzt eingestellt: »Jede tolle Zeit muß doch schließlich ein Ende haben, um dem Ernst Platz zu machen« • arbeitet jetzt an einer Orgelsonate [Orgelsuite op. 16] • mittelmäßige Leistungen des Wiesbadener Musiklebens
Remarks
Referenced works

Publications

Der junge Reger. Briefe und Dokumente vor 1900, hrsg. von Susanne Popp, Wiesbaden 2000 (= Schriftenreihe des Max-Reger-Instituts, Bd. XV), S. 214f.

Max Reger, Briefe eines deutschen Meisters. Ein Lebensbild, hrsg. von Else von Hase-Koehler, Leipzig 1928, S. 40f.

1.

Wiesbaden, 16. 11. 1894.

Verzeihen Sie, daß erst heute es mir möglich wird, Ihren so liebenswürdigen Brief zu beantworten. Es haben sich eben in den letzten Tagen alle Arbeiten so gehäuft, daß es mir faktisch unmöglich war, einen etwas längeren Brief zu schreiben. Vor allem also vielen Dank für Ihre Kritik; ich werde es Ihnen nie vergessen, daß Sie so liebenswürdig waren und mit so unermüdlichem Fleiß die Sachen durchgenommen haben – und zugleich auch die Versicherung, daß ich das von Ihnen Getadelte vollkommen und rückhaltlos anerkenne. Ferner haben Sie auch vielen Dank für die so hocherfreuliche Nachricht betreff der Aufführung des Trios durch Mottl. Ich werde zu der Aufführung ganz bestimmt nach Karlsruhe kommen. Fänden Sie es nicht für gut, wenn ich mich in Bälde an Mottl selbst schriftlich wendete? Erteilen Sie mir in dieser Sache bitte Ihren gütigen Rat!
Ihre so freundliche Aussprache war und ist mir hochsympathisch und sehr teuer. Sie haben vollkommen recht; ich selbst bin auch ganz und gar von meinen derzeitigen Gedanken zurückgekommen und habe die Periode der künstlerischen und inneren Zerrissenheit hinter mich gesetzt, da ich schließlich die ganze Haltlosigkeit dieses schrecklichen Zustandes selbst einsah – und auch solide bin ich geworden. In rein moralischer und sittlicher Beziehung war ich stets in höchstem Grade zurückhaltend und werde es auch stets sein, da ich es als eine der größten Gefahren betrachte, in dieser Beziehung nicht gut zu leben. Allein bisher hatte ich doch eines übersehen: nämlich die Gefahren des Alkohols. Früher, als meine Kollegen noch hier waren, welche Kollegen jetzt fort und zum Teil untergegangen sind, da gestehe ich es sehr offen ein, daß in jugendlichem Übermut und Leichtsinn eigentlich derjenige als der Held des Tages galt, der die meisten Krügel „Echtes“ schlucken konnte. Allein ich merkte so nach und nach doch die schlimmen Folgen dieser Mannbarkeit im Trinken – und habe selbes – obwohl ich es leider diesen Sommer, wo sozusagen die „Krisis“ war, noch tat – jetzt eingestellt und fühle mich infolgedessen viel freier, ruhiger, zuversichtlicher. Jede tolle Zeit muß doch schließlich ein Ende haben, um dem Ernst Platz zu machen.
Und was Sie betreffs meiner letzten Sachen schrieben – ja leider, leider haben Sie nur allzusehr Recht. Allein ich glaube, daß jetzt eine andere Zeit gekommen ist. Mein Op. 14 (fünf Duette für Sopran und Alt mit Klavier), ferner ein in den Herbstferien geschriebenes Liederheft (10 Stück) Op. 15 (Gewidmet „Dir“) – nicht wahr — eine merkwürdige Widmung – wird Ihnen schon wieder mehr gefallen – denn vor allem sind die Lieder viel einfacher – und ich lege Ihnen das erste aus diesem Hefte Op. 15 bei als Beweis. Alle sind ja nicht so, aber ich hoffe doch, daß dieses Heft wieder mehr Ihren Beifall finden wird. Jetzt arbeite ich an einer Sonate für Orgel [op. 16]. (Introduzione, vierstimmige Tripelfuge E-moll, Adagio H-dur über den Choral: „Es ist das Heil uns kommen her“ und Passacaglia E-moll. Es hat auch dieses letzte Jahr so manches dazu beigetragen, mich nervös und verstimmt zu machen – doch das ist überwunden und komme ich allmählich wieder in die Stimmung der Variationen im Trio Op. 2. Noch einiges über das Wiesbadener Musikleben. Also, die sogenannte Hochflut ist da, schwemmt aber nicht viel Gutes ans Land. Immer mittelmäßige Leistungen – denen aber der eigentliche Schliff noch fehlt. Das neue Theater ist fertig, aber sehr schwacher Besuch. Dagegen hat das Residenztheater, das mehr die Posse und Operette pflegt, mehr Zulauf. Am Konservatorium haben wir fast gar keine Fachschüler, und so wird Musik weiter gemartert. Eine neue Kammermusikvereinigung ist da, ich konnte mir das Konzert leider nicht anhören, da ich verhindert war.

Object reference

Max Reger to Arthur Smolian, Wiesbaden, 16th November 1894, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01009190.html, version 3.1.0, 23rd December 2024.

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