Zum Widmungsvermerk in der Erstschrift von Opus 19

Alexander Becker, Stefan König, Christopher Grafschmidt, Stefanie Steiner-Grage

1.

Die im April 1898 erstellte Erstschrift der Zwei geistlichen Gesänge trägt unter dem Kopftitel den Vermerk: »Frau Elsa von Bercken, geb. von Bagenski verehrungsvollst gewidmet.« Dagegen findet sich in der Stichvorlage, die Reger im Juli abschrieb, kein Hinweis auf eine geplante Widmung. Vielmehr trug er am 1. November die Dedikation seines Opus 19 Heinrich Reimann an: »Es sind 2 größere, ausgedehntere geistliche Gesänge mit Orgel, u. bitte ich Sie, die Widmung anzunehmen als ein kleines Zeichen meiner künstlerischen Hochachtung u. meiner herzlichsten Dankbarkeit.« (Brief) Reimann scheint auf diese Anfrage nicht reagiert zu haben (vgl. Brief Straubes an Hans Klotz vom 20. November 1944), jedenfalls erschien der Erstdruck der Gesänge im April/Mai 1899 ohne jede Zueignung.

Es ist wenig plausibel, dass Reger die beiden überaus ernsten Gesänge im April 1898 seiner – zu dieser Zeit noch verheirateten und nur heimlich verehrten – späteren Ehefrau zugeeignet haben sollte; noch weniger wäre im Juli ein Grund für die Rücknahme einer solchen Dedikation erkennbar. Elsa war zuletzt im Herbst 1897 bei Auguste von Bagenski zu Besuch gewesen; bei Regers Abschied aus Wiesbaden hielt sie sich in Bromberg (heute: Bydgoszcz) auf, ein zwischenzeitlicher Kontakt bestand nicht. Erst Mitte August 1898 verließ Elsa von Bercken ihren ersten Ehemann und kehrte in den Haushalt ihrer Mutter zurück.1
Wahrscheinlicher ist, dass der Vermerk die Schenkung der Erstschrift, nicht die Widmung des Werks dokumentiert und später nachgetragen wurde. Der ausdrückliche Zusatz »geb. von Bagenski« deutet darauf hin, dass Elsa von Bercken bereits von Franz von Bercken getrennt lebte, als Reger ihr dieses Manuskript zueignete.2 Vermutlich hatte er es zum gemeinsamen Musizieren im Mai 1899 mit nach Schneewinkl gebracht – denn der Erstdruck ist in Hofmeisters Musikalisch-literarischem Monatsbericht erst für Juni angezeigt.


1
Vgl. Scheidungsurkunde Elsa und Franz von Bercken vom 6. Oktober 1899, Max-Reger-Institut, Signatur: D. Ms. 523.
2
Die Klage Franz von Berckens kann nicht vor April/Mai 1899 eingereicht worden sein. Sie dürfte – als Voraussetzung für die Feststellung einer »böslichen Verlassung« – zunächst auf »Herstellung der häuslichen Gemeinschaft« gelautet haben, nicht auf Trennung der Ehe.
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Authors:
Alexander Becker, Stefan König, Christopher Grafschmidt, Stefanie Steiner-Grage

Date:
19th June 2019

Tags:
Module IISongsVol. II/7

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Citation

Alexander Becker, Stefan König, Christopher Grafschmidt, Stefanie Steiner-Grage: Zum Widmungsvermerk in der Erstschrift von Opus 19, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/rwa_post_00062, version 3.1.4, 11th April 2025.

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