München, 23rd June 1902

Max Reger to Elsa Reger

Object type
Letter
Date
23rd June 1902 (source)
Sent location
München
Source location
DE,
Karlsruhe,
Max-Reger-Institut/Elsa-Reger-Stiftung,
Ep. Ms. 1732

Senders
  • Max Reger
Recipients
Frau Elsa von Bercken
Schneewinkl-Lehn
bei Berchtesgaden

Incipit
Mein lieb süß Bräutchen!
Viel, viel Dank für Brief; ich komme erst heute zur Beantwortung […]

Regesta
spricht über die Kunst und die Künstler • »Ich hasse jenes „Sich posieren“ etc. etc.« • behauptet, Richard Strauss’ Heldenleben wäre zwar ein grandioses Werk, in dem aber der Komponist eine »Verherrlichung seiner selbst« übt • schreibt über seine Kompositorischenpläne • hofft, dass die E. ihn in seinen künstlerischen Vorhaben immer unterstützt • versichert ihr, dass sie nie Geldsorgen bei ihm haben werde • sendet ihr seine 4 Spezialstudien für die linke Hand allein [WoO III/13] zu • berichtet, dass Frau Loritz seine Mutter von einer evangelischen Trauung überzeugen möchte • wird immer geiziger, damit er genug Geld für die Hochzeit sparen kann • ist dankbar, wenn ihm die E. künftig 1 Stunde täglich die Korrespondenz abnehmen werde • regt sich über die Verwandtschaft Ulrich auf • sitzt an Korrekturarbeiten
Remarks
Referenced works
  • Vier Spezialstudien für die linke Hand WoO III/13

Publications

1.

Montag abend. 23. Juni [1902]

Mein lieb süß Bräutchen!
Viel, viel Dank für Brief; ich komme erst heute zur Beantwortung!
Das Wetter ist jetzt wieder schlechter geworden, das thut mir sehr leid wegen Dir! Aber sieh, Liebling, laß mich doch arbeiten! Ich gehe ja jeden Tag, wenn es der Regen erlaubt, spazieren! Ich überarbeite mich nicht! 1 Stunde gehe ich sicher wenigstens an die Luft! Ja, mein Lieb, ich werde Dich jeden Abend in Schlummer spielen, u werde nicht länger aufbleiben – außer es ist gerade was sehr Wichtiges! Aber der Gutenachtkuß wird lang, lang! An Deine Frau Mama schreibe ich im Oktober, anfangs des Monats! Und sieh, daß ich mich so sorge um Dich – ja Liebling, das kommt nur davon her, daß ich Dich so lieb habe!
Das Opernklavierauszug spielen von Berthel ist sehr verfehlt! Es ist schade! Nun, ich werde später schon meinen Einfluß aufbieten, damit sie auch anderes spielt! Ja, Du hast Recht, wir zwei leben nur für uns zwei!
O, ich träume oft von Dir! Oft, oft träume ich von Dir!
Gelt, es ist Dir doch im Kopf nun wieder besser? Wenn Du Alkohol ganz meidest, wird es wohl besser sein!
Was Du betreff der Dichtungen schreibst, ist auch meine Ansicht! Es ist zu schön, daß wir zwei darin, so ganz einer Meinung sind! Und, auch darin hast Du so sehr recht, daß die „Selbstanbetung“ bei den modernen Künstlern so häufig ist! Das Leben in Saus u Braus, Schulden über Schulden etc etc ist gräßlich! Ich finde, es ist künstlerisch viel ehrenvoller, man hat keine Schulden!
Große Redensarten u. Exaltationen sind mir ebenfalls so sehr zuwider! Die Ideen müssen im Künstler leben! Aber leider, leider wird da so gesündigt! Ich hasse jenes „Sich posieren“ etc etc., achte es als sehr gering! Aber es ist eben Sünde! So z.B. ist R. Strauß „Heldenleben“ auch eine Verherrlichung seiner selbst! Das stößt mich ab! Es ist natürlich, daß das Werk rein musikalisch betrachtet, grandios ist – aber die „Sendung“ ist mir unsympathisch! Wenn man weiß, wie schwer es ist, heutzutage in unserer Kunst wirklich was zu leisten – dann wird man nicht übermüthig, sondern ganz bescheiden! Ja, das evangelische „Vater unser“ komponiere ich sicher [WoO VI/22], aber erst dann, wenn Du mein bist! Die Sache mit dem Passionswerk [Osterspiel RWV Anhang B6] hat sich leider zerschlagen, indem der derzeitige Rektor der Universität Straßburg, Prof Dr Spitta auf meine Änderungsvorschläge nicht einging! Es war nämlich unmöglich, seinen Text, der viel zu weitschweifig war, zu komponieren! Dramatische Schlagkraft ist die Hauptsache!
Gewiß, ein wahrer Künstler muß in seiner Kunst aufgehen – u. seine Frau soll ihm soviel Verständnis entgegenbringen, daß sie nicht eifersüchtig wird! So war es z.B. von Böcklins Frau sehr ungeschickt, daß sie nie duldete, daß Böcklin Modelle hatte – aber der Maler braucht Modelle!
Sieh, auch ich brauche Friede! O, ich verstehe, was Du damit sagen willst, daß ich mit mir selbst nicht zufrieden sein darf; Du bist ja eine Künstlerfrau par excellence! Oktober wohne ich dann in Schneewinkl! O, wie ich mich schon freue!
Sieh, Liebling, daß Emma dortmals nicht so zuversichtlich von mir sprach, hat seinen Grund darin, daß im Winter einige Fälle vorgekommen sind! Aber sieh, ich will mich gar nicht entschuldigen – dortmals hatte ich doch Dich nicht! Und schau, wenn auch dortmals auch ein Fall vorkam, ich habe immer gleich wieder gearbeitet! Das ist die Hauptsache – daß man arbeitet! Deshalb ist auch der Mann Deiner Freundin so schwer zu kurieren! Er muß selbst wollen u. Arbeit als seine Rettung ansehen! Das ist die Hauptsache!
Es freut mich sehr, daß Berthel mit den 6000 M das geholfen hat! Da ja das Geld sicher ist, so ist’s ja egal wo es steht! Es ist was Schönes, um den Reichthum, wenn man helfen kann damit! Ich habe das Geld leider nicht, sonst hätte ich auch geholfen! Pekuniäre Sorgen sind ja furchtbar! Mein Schatzl, nie sollst Du welche bei mir erleben! Ich sorge schon so, daß ich immer genug verdiene!
Nun bin ich sehr gespannt, wie nächsten Winter sich die Concertsaison hier wieder auswächst; es ist geradezu fürchterlich, wie viel Concerte hier sind!

Nun ist es Mittwoch abend geworden, u. ich komme erst heute zum Schreiben! Das thut mir so, so, so leid wegen Dir; ich war gestern abend wieder eingeladen! Meine 2 Karten wirst Du ja erhalten haben! Mit diesem Briefe sende ich an Dich Rollen ab mit 2 Exemplaren von meinen soeben erschienenen 4 Spezialstudien fur die linke Hand allein [WoO III/13]! Paß auf, in dem einen Exemplar, über dem auf dem Titelblatte die Zahl Vier so x mit Blei angestrichen ist, liegt das Christusmonogramm; hoffentlich ist es recht! Bitte, gib Nachricht, ob es so recht ist! Gelt, nicht vergessen!
Ich hab’ mich ja so sehr geärgert, daß ich erst heute an Dich schreiben kann – ich hoffe sehr, daß Du meine Karten erhalten hast u. Dich nicht beunruhigt hast! Und heute mittag schrieb ich Dir ja schnell noch Karte, damit Du Dich ja nicht aufregst! Sonntag, Dienstag war ich eingeladen u montag abend so müde, da ich erst spät nach hause gekommen war u ich allemal so müde bin wenn ich so lang aufbleiben muß!
Aber jetzt ist die Zeit frei – nun kann ich Dir schreiben! Gelt, bitte, bitte, Liebling sei nicht böse, wenn ich erst heute schreibe!
Frau Loritz ist stets dabei, es meiner Mutter „beizubringen“, daß wir uns evangelisch trauen lassen! Weißt, meine Mutter ist eben da ein bißchen sehr engherzig; sie sprach davon, dann ginge sie nicht auf unsre Hochzeit! Na, weißt, sie gewöhnt sich schon noch an den Gedanken! Bis Januar ist ja noch lange Zeit hin, u. meine Mutter [dreifach unterstrichen:] weiß, daß, wenn sie unsere Verbindung dadurch vereiteln will, daß sie da immer wieder „bohrt“ u „bohrt“, daß wenn sie unsere Verbindung vereiteln würde, ich im selben Momente ausziehen würde u. jede Verbindung mit meinen Eltern abbrechen würde! Es ist ihr das von Frau Loritz schon gründlich gesagt worden! Zum Schlusse meinte sie, daß ihre 2 Schwestern damit nicht einverstanden wären! Abgesehen davon, daß es die 2 Schwestern meiner Mutter rein gar nichts angeht, ob ich mich katholisch, evangelisch oder übehaupt nicht trauen lasse – so muß ich noch bemerken, daß die „Liebe“ zwischen den 2 Schwestern meiner Mutter u. mir so gering ist, daß es mir vollständig egal ist, was die beiden Damen von mir denken! Die eine, die in Triest ist, kenne ich gar nicht, u. die andere, die ich kenne, ist so, daß ich mich mit ihr keine halbe Stunde vertrage! Ich bitte Dich dringendst: laß Dir wegen dieses Punktes nicht bange werden! Das fechte ich schon durch! Ich weiß, was Du glaubst u. was Deine Religion ist, u. wenn es jemand gibt, der mich frömmer d.h. nicht im „betschwesterlichen“ Sinne machen kann, daß das [dreifach unterstrichen:] Du ganz allein bist! Ähnliches sagte das Frau Loritz auch schon zu meiner Mutter! Laß, bitte, mich das nur ordnen also! Frau Loritz spricht immer wieder über diesen Punkt mit meiner Mutter! Und im Oktober, wenn wir da „Ja“ von Deiner Frau Mama haben, dann sage ich es ihr; vorher sage ich es schon meiner Schwester; meine Schwester ist darin viel, viel toleranter! Bitte, bitte, sei ohne jede Sorge; das ordne alles ich’ allein! Außerdem weiß ich bestimmt, daß wenn Du hier bist, dann meine Mutter von Dir so entzückt ist, daß sie ihren Widerstand darin von selbst aufgibt! Außerdem: rechtlich betrachtet: es gibt [dreifach unterstrichen:] keinen Menschen auf der ganzen Welt, der es mir zu verbieten das Recht hätte – daß ich mich evangelisch trauen lasse! – Ich bitte Dich aber dringendst darüber nicht den Muth zu verlieren, sondern ganz ruhig der Zukunft entgegen zu sehen!
Du höre, mein süß Liebling, wenn Berthel also sehr ahnt, dann fände ich es doch richtig, wenn Du sie einweihst so Ende September! Du hast dann doch einen Helfershelfer bei Deiner Frau Mama!
Ich glaube habe jetzt so ziemlich Deinen Brief genau beantwortet! Arbeit gibt’s halt sehr, sehr viele – aber bitte, beunruhige Dich nicht – ich überarbeite mich nicht! Der Gedanke an Dich macht das unmöglich! Gestern hätte ich Dir, obwohl ich mittags schnellstens eine Karte an Dich schrieb, vom englischen Garten aus zu gerne nochmals eine Karte gesandt – aber es gab keine! In Zukunft werde ich mir immer welche mitnehmen, wenn ich nicht ganz bestimmt weiß, daß es dort welche gibt!
Gelt, jetzt bist nicht mehr beunruhigt, weil so lange kein Brief kam – aber […]ntlichen Einladungen hinderten mich! Ich komme erst heute zum ruhigen Schreiben nachdem ich heute nachmittag schon 4 nein 6 andere Briefe geschrieben habe! Ich trage morgen früh 7 Uhr diesen Brief selbst auf die Post, damit Du ihn noch morgen abends sicher hast! Dann bist Du wohl zufrieden? Nicht wahr, mein hold süß Bräutchen! Nun, gehe ich ein bißchen Spazieren u scheibe abends später nach dem Nachhausekommen weiter! Gelt ja! Mein süß Bräutchen! Geschwinde einen langen, langen heißen Kuß!
Stets Dein treuer
Max

Abends 10 Uhr!
So Liebling, nun war ich mit Emma spazieren u. schreibe noch schnell an Dich!
Ich weiß nicht, was das ist: Kannst Du Dir es wohl erklären! Ich mache mir immer so viel, so viel Sorgen! Nachdem ich doch wirklich so leicht und schön verdiene – trotzdem werde ich von Tag zu Tag geiziger – ich vergönne mir rein gar nichts mehr. Den neuen Anzug, den ich mir vor 8 Wochen gekauft habe, hab’ ich nun 2 x angezogen, zu Hause spare ich an Kleidern, trage jetzt in der heißen Zeit recht schwere Schuhe, die für die Straße nicht mehr gut genug sind, meine 2 Paar neuen Schuhe hab ich je 1 mal angehabt, für Sonntag trag ich die gelben Schuhe, die ich vor 3 Jahren in Schneewinkl schon hatte! Mein Anzug, den ich für kommenden Winter (1. Hälfte der Saison bis Januar) für Konzerte trage, hab ich das Beinkleid noch dasselbe, das ich vor 3 Jahren in Schneewinkl hatte, an meinem Taschengelde knappere und knappere ich, was ich überhaupt nur kann u. so geht es zu! Meinen Arbeitsrock für gewöhnlich paßt mir gar nicht mehr, er ist viel, viel zu klein geworden – Gott sei Dank jetzt kommen ja keine Besuche – und so geht es immer mehr zu mit der Sparsamkeit! Kannst Du Dir das erklären? Komm mal geschwinde her, ich sag es Dir! Leg Deinen Arm um mich, ich flüstere es Dir in’s Ohr! Sieh, ich hab ein wunderholdes, unendlich liebes, süßes, süßes Weib gar so unsagbar lieb u. ich lege mir selbst Entbehrungen auf jener Frau zu liebe – u. diese süße Frau muß, muß im Januar 1903 mein werden! Ich hab diese Frau ja gar so unmenschlich lieb u. sehne mich so nach ihr! Ich sehne mich ja so sehr nach Dir, Du Süße Herzige Elsa, mein Bräutchen!
Glaub mir, wie schwer es mir wird, Dich jetzt nicht bei mir zu haben! O, Geliebte, das glaubst u ahnst Du nicht, wie ich mich nach Dir sehne! O, es ist so einsam in mir, um mich! Und wenn ich dran denke, daß ich noch bis Januar warten muß bis Du mein wirst! Schrecklich für mich! Glaub mir, wenn ich nun augenblicklich so viel Geld hätte als bis ich bis Ende Dezember habe – ich würde morgen früh zu Dir fahren u. in 4 Wochen thäten wir heirathen! Aber ich muß, muß, muß so viel Geld zusammenbekommen! Zur „Vorarbeit“ hab’ ich mir wieder Material geholt, und ich denke, daß ich mit allem fertig werde – allerdings muß ich sehr, sehr fleißig sein – keine Minute darf ich feiern bis Ende Dezember! Ich thue es aber so, so gerne, denn Du winkst mir als Preis! Aber helfen, viel, viel helfen kannst Du mir jetzt schon, indem Du immer recht, recht lieb zu mir schreibst, mir oft, oft u. sehr sehr lieb u gut u. viel, viel schreibst! Hilfst Du mir so, dann, ja dann wird es mir leicht! Gelt, Bräutchen, Du hilfst mir so – gelt, ich bitte [dreifach unterstrichen:]nicht umsonst! Ich bin so froh, daß ich heute an Dich schreiben kann – es wäre ja auch entsetzlich, wenn ich heute nicht auch nicht dazu käme – morgen früh schreibe ich wieder weiter, dann erhältst Du den Brief um 5 ½ Uhr abends! Gelt, bis Sonntag schreibst Du mir sicher, sicher langen, langen Brief! Gelt, ich bitte nicht umsonst: bis Sonntag erhalte ich [fünffach unterstrichen:] sicher [vierfach unterstrichen:] langen, langenBrief von Dir! Laß mich nicht umsonst bitten! Sieh, ich hab ja mit bestem Willen nicht früher schreiben können u. habe Dir extra heute noch Karte geschrieben, damit Du Dich ja nicht beunruhigst! Gelt, meine Karte von gestern hast Du erhalten? (heute früh) Heute kam von Dir [dreifach unterstrichen:] früh Karte – sonst nichts. Gelt, aber Sonntag bekomme ich großen, großen lieben Brief [fünffach unterstrichen:] sicher!
Du schreib mir mal die Adresse von Deiner Tante Fräulein Zwengauer nämlich sie war bei uns heraus – aber bloß ich zu Hause – u. so weiß ich die Adresse nicht. Nicht vergessen!
Du, Liebling, hab nur keine Angst! Meine Mutter wünscht es [dreifach unterstrichen:] doch so sehr, daß Du meine Frau wirst! hab’ nur keine Angst; ich ordne [dreifach unterstrichen:] alles!
In Bälde erkundige ich mich, welche Papiere ich haben muß; auch wegen Dir frage ich, welche Papiere Du haben mußt! Weißt Du, für diese Sachen muß man schon rechtzeitig sorgen, damit man selbe sicher hat!
Höre mal, es wird wohl nicht zu umgehen sein, daß wir das Ehepaar Loritz einladen zu unserer Hochzeit! Was meinst Du dazu? Schreib mir darüber!
Ach, soeben fallen mir wieder so viel Briefschulden ein – es ist schrecklich – ich kann die Correspondenz mit bestem Willen nicht mehr alle überkommen – also Liebling wenn Du da täglich 1 Stunde mir opfern willst, so wäre das so unendlich gut von Dir u. ich Dir so dankbar – ich kann dann über meiner Arbeit bleiben u. werde nicht so sehr aus derselben herausgerissen, wie jetzt, wo ich alles selbst beantworten muß!
Von den 2 Exemplaren der Noten, die ich in Rolle mit diesem Briefe an Dich absende, gehört das Exemplar mit dem x unter der Zahl „Vier“ beim Titelblatt Dir; in diesem Exemplar liegt das Christusmonogramm; das andere gebe Du bitte an Berthel!
Nun höre, Ulrichs haben ihre Wohnung in Wien schon gemietet, ziehen Ende August nach Wien – ich glaube aber nicht, daß sie das erreichen werden, was sie wollen – denn sein Vater ist heute noch sehr unversöhnlich, daß die junge Frau Ulrich, die Du kennst, Jüdin ist! Dafür kann ja doch kein Mensch was, daß er als Jude geboren wird – aber der alte Ulrich hat auch gar keinen Grund mit seiner Schwiegertochter unzufrieden zu sein! Sein Sohn war als Junggeselle ein „Liederjahn“ allerersten Ranges der in einem Winter 120 000 M durchbrachte – u. ist als Ehemann ein äußerst solider Mensch geworden u das Paar lebt prächtig miteinander! Daß sein Sohn so geworden ist, hat der alte Ulrich nur der Frau Rosa zu verdanken! – Übrigens, wenn auch der alte Ulrich wollte sich versöhnen, gab es die junge (2.) Frau des alten Ulrich nicht zu! Die 1. Frau des Ulrich war eine Schwester meiner Mutter, die 2. Frau ist eine Nichte von meiner Mutter – u hat 5 Buben. Der alte Ulrich ist 70 Jahre alt! Natürlich gibt doch die junge Frau eine Versöhnung zwischen Ulrich senior u Max Ulrich, dem Sohn aus erster Ehe, nicht zu, weil sie fürchtet, es könnte von dem Gelde des alten Ulrich ihren 5 Buben was auskommen! Vor 6 Wochen war der alte Ulrich in München; natürlich können wir Zwei (Ulrich senior u. ich) uns absolut nicht vertragen – u. so bekam er von mir mal „echt deutsch à la Max Reger“ einige Dinge gesagt, die er sich nicht in sein Tagebuch als angenehme Erinnerung aufschreibt! Ich mache den Tanz um das „goldene Kalb“ nicht mit! Mir ist das zu dumm – was ich bin u. was ich habe, will ich nur meiner eigenen Kraft verdanken!
Sollte er mir gegenüber mal was sagen – er mischt sich nämlich in alles – so wird er bedient, daß ihm Hören u Sehen vergeht!
Nun gute Nacht! Schlaf wohl, mein herzigstes, süßestes Bräutchen u. sei mir ganz gut, denke immer daran, daß ich Dich gar so unendlich lieb habe, ich mich so unendlich an Dich festhalte, mich so unendlich nach Dir sehne, sehne u sehne – [dreifach unterstrichen:] immer an Dich denke!
Morgen früh schreibe ich weiter u. hast Du abends meinen Brief dann ganz sicher! Viel, viel, viel heiße, heiße Kußle Dir für Äuglein, Stirne, süß Mündchen u. Händchen von Deinem so treuen Max
Gute Nacht, schlafe süß u träume gut! Ich denke immer und immer an Dich! Fühlst Du das nicht? Fühlst Du es, wie ich immer und immer an Dich so mit solcher unendlichster Sehnsucht denke? O mein herzig süß Lieb, mein Elsaengelchen, ich bin Dein u. Du bist mein! Gelt ja, so ist es, – soll es sein!

Donnerstag früh! Guten Morgen, mein Liebling! Wie hast Du geschlafen! Aber ist es nicht zum Todtärgern: um 5 Uhr wollte ich aufstehen, um diesen Brief an Dich noch rechtzeitig zu vollenden u. um 7 Uhr kam meine Mutter mit dem Brief Deiner Frau Mama an mich – u. ich schlief noch wie ein Eisbär! Nun erhältst Du diesen Brief erst morgen früh mit der ersten Post! Sei nicht böse darüber – aber weißt, wenn ich schlafe, so schlafe ich so feste! Eigentlich ist es ja ein Segen, daß ich solchen Schlaf habe bei meinem Berufe, da erholen sich die Nerven wieder am besten! Aber für Dich thut es mir so unendlich leid, daß dieser Brief erst Freitag nun kommt – sei bitte, bitte, bitte, bitte, nicht böse daruber! Gelt! Soeben kommt die 2. Post, bringt mir u.a. auch Brief von G. Falke; er hat Deinen Brief erhalten u. wird Dir antworten. Ach, u. so viel Korrespondenz gibt es neuerdings wieder zu erledigen! Und denke Dir, die Korrekturen, die ich vorige Woche durchgesehen absandte, kommen nochmals heute – jetzt kann ich die Arbeit nochmals machen – es ist das die schrecklichste Arbeit, die’s giebt! Außerdem kommen im July sicher noch 200 Seiten andere Korrekturen! Mir wird angst; denn das ist eine schreckliche Arbeit! Liebling, Du mußt mich arg aufheitern – denn ich bin seit 14 Tagen so sorgenvoll, ich hab’ einen solchen Hang zur Melancholie u. ich sorge mich so um Dich!
Bitte, sag Deiner Frau Mama einstweilen schönsten Dank für ihren Brief, den ich nach Möglichkeit balde beantworten werde! Den Klavierauszug von „Parzifal“ sende ich sofort ab an sie, wenn ich ihn habe; ich hab’ ihn augenblicklich verliehn, werd aber heute noch eine Karte schreiben, damit ich ihn zurückerhalte. Gelt, süß Bräutchen, Du bist nicht böse, daß der Brief so spät kommt, aber sieh, ich kam nicht eher zum Schreiben u. wie Du siehst, hab ich ihn so nach u. nach geschrieben, wenn ich nur ein bißchen Zeit hatte!
Bitte, schreib mir, bitte, bitte, bitte, bitte, recht recht recht balde! Gelt, Sonntag erhalte ich sicher sicher langen u. lieben lieben Brief von Dir! Schau, die Arbeit wächst mir halt oft über den Kopf u. muß ich mir jede Minute zum Schreiben an Dich, stehlen. O, es ist schrecklich! Sei nur Du immer lieb u. gut zu mir, gelt, dann kann ich mich nicht überarbeiten – gelt! Und ich sehne mich so nach einem Briefe nach Dir, schreib mir balde, balde, balde! Höre mein süß Lieb, ich warte also am 19. July, dem Tage an dem Ihr hie ankommt, zu Hause, bis Du kommst, weil Du es nicht gerne hast, wenn ich an der Bahn bin! Gelt, Du kommst aber sofort zu mir d.h. zu uns heraus – denn sieh, mein Lieb, ich hab’ dich gar so unendlich, gar so lieb u. sehne mich so nach Dir! Bitte, bitte, schreib mir ja recht, recht, recht balde wieder, großen, großen lieben Brief! Von uns allen die schönsten Grüße an Dich, Deine Frau Mama, Berthel, Fräulein von Faßmann u. nehme Du von mir viel, viel, viel Kußl! Vergiß nicht, daß ich Dich gar so unendlich lieb habe u. mich so nach Dir sehne, immer und immer an Dich denke! Gelt, Du schreibst mir bis Sonnabend abend, oder Sonntag früh ganz sicher; gelt ja! O, laß mich nicht [dreifach unterstrichen:] umsonst bitten! Schreib mir sicher, daß ich gewiß Sonntag früh Deinen Brief erhalte! Ich schreibe Dir zu Sonntag dann Karte! Gelt! Nun, nicht mehr böse sein wenn der Brief etwas später kommt! Meine Karte von gestern wirst Du wohl erhalten haben. Adieu, viel viel viel Kußl von Deinem so treuen
Max.

Object reference

Max Reger to Elsa Reger, München, 23rd June 1902, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01004269.html, last check: 9th November 2024.

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