Leipzig, 27th September 1909
Max Reger to Walther Paetow
Lübeck,
Musikhochschule Lübeck,
Brahms-Institut,
Var. B: Reg: 1
- Max Reger
Sehr geehrter Herr Dr!
Ihre frd. Zeilen soeben erhalten: warum ich nicht beim Brahmsfest […]
der Komponist und Musikkritiker Edgar Istel (1880–1948) war des Öfteren Zielscheibe von Regers verbalen Rundumschlägen; dasVater unser Wo0 VI/22 wurde im Februar 1910 fertiggestellt
- Streichquartett Es-dur op. 109
- Psalm 100 op. 106
- Die Nonnen op. 112
- Sonate B-dur op. 107
- Vater unser WoO VI/22
1.
Leipzig, Kaiser Wilhelm- straße 68 I, 27.9.09.
Sehr geehrter Herr Dr!
Ihre frdl. Zeilen soeben erhalten: warum ich nicht beim Brahmsfest war:
1.) ich muß 2 Monate haben ohne Concerte.
2.) mich hat es zu sehr „gewurmt“, daß das Programmheft von dem Istel geschrieben war, demselben Istel, der [unleserliches Wort, gestrichen] eifrigstes Mitglied jener Münchner Gesellschaft war, die ihren „schlechtesten“ Wein Brahms getauft haben! Und Sie können mir glauben, es ist Heuchelei von Istel, wenn er im Programmheft nicht auf Brahms schimpfte! Um Brahms überhaupt zu begreifen, dazu ist dieser Istel viel zu dumm, da er überhaupt einer der schlechtesten Musikanten ist, die mir jemals begegnet sind! Wer wie ich die Verhältnisse nur einigermaßen kannte, wer gleich mir als Brahmsverehrer jahrelang unter den Anfeindungen anständiger u. unanständiger Art der Münchener Brahmshasser, davon einer der eifrigsten eben der Istel war, zu leiden hatte, der mußte es geradezu als einen Faustschlag gegen jegliche Wahrheit empfinden, daß gerade dieser Istel, der die Brahmshasserei von seinem Lehrer Thuille übernommen hat, das Programmbuch schrieb!
Ferner: was hat Herr Smolian da als Begleiter zu figurieren? Wir in Leipzig wissen, daß Herr Smolian ein mittelmäßiger Begleiter ist. Kurz u. ungut: diese Dinge haben mich als ehrlichen u. überzeugten Brahmsverehrer zu sehr verdrossen!
Vielen Dank für Ihre frdl. Einladung zu Tisch; aber ich fürchte, es wird nichts werden können; seien Sie mir deshalb nicht böse; aber die Sache ist so: wenn ich in Berlin bin, hab’ ich immer elend viel Proben – wann soll ich da zu Ihnen hinaus! Könnten Sie nicht hereinkommen? So bin ich z.B. am 12. Oktober mittags 1 1/2 Uhr ungefähr sicher im Restaurant des Hotels Habsburger Hof (am Anhalter Bahnhof!) Können Sie doch herein – bitte! Ebenso treffen Sie mich am 11. Oktober abends 9 Uhr im gleichen Restaurant! Kommen Sie doch am 11. Oktober abends bitte – mit Frau – dahin!
In den nächsten Tagen hören Sie mein neues Streichquartett op 109 und die Klarinettensonate op 107; ich lasse Ihnen beide Karten zusenden!
Auch sonst wird Ihr „Notenhunger“ „gestillt“ werden! (Denken Sie mal an, was man da für eine feine Karrikatur [sic] machen könnte!) Der Psalm [op. 106], den Sie sahen, erscheint balde bei C.F. Peters. Siegfr. Ochs macht ihn!
Außerdem hab’ ich das andere Chorwerk „Die Nonnen“ [op. 112] auch fertig; selbiges ist seit 14 Tagen im Stich; (Bote & Bock!)
Sie sehen ich bin – zum Entsetzen aller guten Musiker – wieder mal „fruchtbar“ wie ein Kaninchen gewesen! – Pardon es muß heißen „furchtbar!“
Ich werde Sie noch genau benachrichtigen, wann mein neues Streichquartett [op. 109] u die Klarinettensonate [op. 107] gespielt wird.
Wissen Sie auch, daß Ihr Berliner Komponist Hugo Kaun letztenhin mal behauptet hat, ich wäre der größte Dilettant! Ich finde diese Geschichte so wundervoll, daß ich sie auf meinen Konzertreisen im kommenden Winter überall verzapfen werde; so was ist zu schön u. verdient überall bekannt zu werden. Daß mich Max Bruch u. Friedrich Gernsheim zu ihrem Leib- und Magenkomponisten erwählt haben, dürfte Ihnen auch neu sein; beide sollen sich meine Büste verschafft haben, u. sollen beide täglich davor längere Hausandachten verrichten. Und da behauptet die böse Welt wieder, diese beiden fortschrittlichen Meister könnten mich gar nicht leiden! Die Welt ist doch recht infam!
Wissen Sie, warum ich gar so humorvoll bin – na weil ich in einer Stunde eine Nasenoperation durchzumachen habe! Wenn mir der Arzt dabei nur nicht aus Versehen ans Dissonanzencentrum im Gehirn stößt, es wäre doch recht schlimm, wenn dieses Zentrum noch mehr in Unordnung käm; –!
Soeben bin ich dabei das „Vater unser“ für 12 stimmigen Chor a capella [WoO VI/22] zu schreiben; ich glaube die Sache wird gut! Ein Gebet hab’ ich zum lieben Herr Gott: er soll den Tag 48 Stunden lang werden lassen, damit ich mehr arbeiten kann.
Bitte beantworten Sie mir diesen Brief recht balde u. genau u. seien Sie bestens gegrüßt von Haus zu Haus.
Immer Ihr
ergebenster
Reger.
Wenn wir uns am 11. Oktober abends treffen, was ich als absolut sicher annehme, so erzähle ich Ihnen 1000 Schnurren u. Schraxen; zu was Besserem reicht mein Hirnkasten nicht mehr.
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Max Reger to Walther Paetow, Leipzig, 27th September 1909, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01005469.html, version 3.1.0, 23rd December 2024.
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