Ludwig Thuille
Correspondence, Lyricist
- Correspondence, Lyricist
1.
1.1.
Ludwig Thuille wurde am 30. November 1861 in Bozen als Sohn eines Kunst-, Buch- und Musikalienhändlers geboren. Der Beruf des Vaters und das daraus resultierende künstlerische Familienmilieu begünstigte die musikalische Entwicklung von Ludwig Thuille. Vom Vater Johann Thuille erhielt er ersten Klavierunterricht und spielte auf dem Harmonium, das im elterlichen Geschäft stand, für die Kundschaft. Erste Kompositionsversuche unternahm Thuille im Alter von acht Jahren. Aufgrund des frühen Todes der Eltern – die Mutter starb 1867, der Vater 1872 – wuchs Thuille ab dem elften Lebensjahr bei einem Onkel im oberösterreichischen Kremsmünster auf. Dort besuchte Thuille das humanistische Gymnasium der Benediktinerabtei. Diese war für ihre Musikpflege im Bereich der Barockmusik bekannt, führte ein Musiktheater und hatte eine lange Tradition als Choral- und Orgelschule. Als Sängerknabe stand Ludwig Thuille ein Freiplatz am Gymnasium zu, das er vermutlich als Externer besuchte. Nennenswerten Musikunterricht erhielt Thuille am Gymnasium kaum, die musikalische Unterweisung und Förderung übernahm der Stiftsorganist Josef Leitenmaier sowie sein älterer Mitschüler Karl Teutschmann. Der spätere Jurist spielte gut Klavier.
Nach vierjärigem Aufenthalt in Kremsmünster lernte Thuille bei einem Verwandtenbesuch die Witwe des Tiroler Komponisten Matthäus Nagiller kennen. Sie erkannte sein Talent und förderte ihn, indem sie ihm die Gelegenheit gab nach Innsbruck überzusiedeln und dort das Gymnasium bis zum Abitur zu besuchen. Das rege Musikleben der Stadt wirkte sich positiv auf Thuilles' Entwicklung aus. Hier kam er unter anderem mit Richard Strauss in Kontakt. Zu dem drei Jahre jüngeren Strauss entwickelte sich eine innige Jugendfreundschaft mit intensivem Austausch über Musik. Pauline Nagiller übernahm für Thuille die Rolle einer Ersatzmutter und ermöglichte den regelmäßigen Unterricht in Klavier, Orgel und Theorie bei dem Komponisten und Dirigenten Josef Pembaur d.Ä., der bei Anton Bruckner und Joseph Rheinberger studiert hatte. Auf Empfehlung Pembaurs konnte Thuille ab 1879 die Königliche Musikschule (Akademie der Tonkunst) in München besuchen. Das Münchner Konzertleben eröffnete Thuille neue musikalische Horizonte. Hier lernte er an der von Hermann Levi geleiteten Hofoper die Werke Richard Wagners kennen, denen er aber zunächst weniger abgewinnen konnte als den Sinfonien von Mozart und Beethoven. Besondere Bewunderung hegte Thuille für Robert Schumann.
Seinem Studium an der Akademie widmete sich Thuille mit großem Eifer und großem Erfolg. Zu seinen Lehrern gehörten Josef Rheinberger (Theorie, Komposition und Orgel) und der Liszt-Schüler Karl Bärmann jun. (Klavier). Wenngleich er Rheinbergers konservative Musikauffassung nicht teilte, schätzte Thuille ihn doch als Lehrer, bei dem man eine ausgezeichnete technische Ausbildung erhielt: “"Der Unterricht Rheinbergers ist technisch betrachtet sehr gut, aber mehr als ein guter Schulmeister ist er nicht.[...] Hüten werde ich mich jedoch, ihm all und jede Komposition von mir zu zeigen."”1 Unter Rheinbergers Anleitung entstand 1879/80 Thuilles erstes vollgültiges Werk, die Sonate für Violine und Klavier op. 1. Der Klavierunterricht bei Bärmann verlief ebenfalls erfolgreich und wurde mit dem Krönungskonzert KV 537 von Wolfgang Amadeus Mozart abgeschlossen, zu dem Thuille eigene Kadenzen beisteuerte. Inzwischen hatte Thuille seinen Schwerpunkt auf das Komponieren verlegt. Zum Studienabschluss 1882 schrieb er ein Klavierkonzert in D-Dur, bei dem er zur hervorragend bestandenen Abschlussprüfung den Klavierpart selbst übernahm.
Ein kleines Vermögen, das ihm seine im Jahr zuvor verstorbene Pflegemutter vermacht hatte, sorgte für eine erste Absicherung nach dem Studium. Nach kurzer Hauslehrertätigkeit beim Baron von Dreyfuß in Kreuth wurde Thuille als Lehrer für Klavier und Harmonielehre an das Münchner Konservatorium berufen, wo er 24 Jahre lang bis zu seinem Tod 1907 wirkte (ab 1890 als Professor) und rund 200 Studierende ausbildete. 1903 wurde Thuille Rheinbergers Nachfolger als Professor für Komposition. Zu seinen überwiegend zusätzlich privat unterrichteten Kompositionsschülern zählten Hermann Abendroth, Ernest Bloch, Walter Braunfels, Felix vom Rath und Rudi Stephan sowie die für das Münchner Musikleben als Dirigenten und Intendanten prägenden Ernst Boche und Clemens von Franckenstein. Thuilles Lehrmethode, die er auch in einer gemeinsam mit dem Musikschriftsteller Rudolf Louis unter anderem in der 1907 verfassten Harmonielehre verschriftlichte, wurde an der Münchner Akademie von seinen Schülern Walter Courvoisiers und Hermann W. von Waltershausen fortgesetzt. Aufgrund dieser Traditionsbildung, seines didaktischen Geschicks und seiner vermittelnden Haltung zwischen radikaler Sezession und Konservatismus wurde Ludwig Thuille zu einem Hauptvertreter der sogenannten Münchner Schule.
Als Pianist trat Thuille vor allem mit Beethoven- und Schumanninterpretationen in Erscheinung. Parallel dazu trieb er seine Karriere als Komponist weiter voran. Die Verleihung des Frankfurter Mozart-Stipendiums (1883) verschaffte ihm den Freiraum auch für größere Orchesterkompositionen. Beispielsweise entstand die Symphonie für großes Orchester in F-dur, mit der Thuille auch über München hinaus Bekanntheit und Anerkennung erlangte. Das Werk wurde von Richard Strauss in Meiningen aufgeführt. Als besonders erfolgreiches Werk erwies sich das 1888 komponierte Sextett für Klavier, Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott op. 6. Thuille widmete es seiner Frau Emma. Die Tochter des bayerischen Generalleutnants Ignaz von Dietl hatte er im Jahr zuvor geheiratet. Die Bekanntschaft mit der Familie hatte Richard Strauss vermittelt. Aus der Ehe gingen die beiden Kinder Eduard (geboren 1888) und Hedwig (geboren 1890) hervor. Mit dem Sextett gelang Thuille der internationale Durchbruch. 1889 wurde es mit großem Erfolg bei der Tonkünstlerversammlung in Wiesbaden uraufgeführt, die Bewerbung um den Wiener Beethovenpreis verlief hingegen trotz positiver Publikumsresonanz erfolglos (vgl. Alfons Ott, Richard Strauss und Ludwig Thuille. Briefe der Freundschaft 1877–1907, München 1969, S. 229). Es folgten Aufführungen in Paris, Mailand und Lissabon. Etwa zur gleichen Zeit engagierte sich Thuille auch in der Laienmusik und übernahm die Position eines Chormeisters des Münchner Männergesangvereins Liederhort.
Die Bekanntschaft mit Alexander Ritter, einem Verfechter der Neudeutschen Schule, im Jahr 1886 veränderte Thuilles vormals kritische Einstellung zu Musikdrama und Programmmusik. Ritter, der vor seiner Übersiedlung nach München Konzertmeister der Meininger Hofkapelle war, gelang es, Thuille und Strauss für Wagner und Liszt einzunehmen. Reisen nach Bayreuth 1889, 1894 und 1896 sind Ausdruck dieses Gesinnungswandels. Nach Strauss’ Weggang nach Weimar vertiefte sich die Beziehung zwischen Ritter und Thuille nochmals. Von Ritter, der für ihn auch das Libretto zu seiner ersten Oper Theuerdank schrieb, erhielt Thuille wichtige Impulse für seine musikdramatische Arbeit. Im Anschluss an Theuerdank (entstanden 1893 bis 1895) komponierte Thuille sein nächstes Bühnenwerk Lobetanz. Das Libretto stammt von Otto Julius Bierbaum, mit dem Richard Strauss bekannt war. 1896 erhielt Thuille für Theuerdank den Luitpold-Preis, am 12. März 1897 erfolgte die Erstaufführung in München (Leitung Richard Strauss). Lobetanz wiederum wurde am 6. Februar 1898 in Karlsruhe uraufgeführt und erfuhr sowohl von Seiten des Publikums als auch der Presse positive Kritik. Der Erfolg der folgenden Aufführung in Berlin verhalf dem Werk zu großer Popularität auch im Ausland (es folgten Aufführungen in Zürich, Riga, Wien und New York). Gugeline eine weitere Oper nach einem Libretto von Bierbaum, an der Thuille in den Jahren 1898 bis 1900 arbeitete und die 1901 in Bremen uraufgeführt wurde, hatte keinen nachhaltigen Bühnenerfolg. In der Folge wandte sich Thuille wieder der Kammermusik- und Liedkomposition zu. Für sein Wirken wurde Thuille vielfach ausgezeichnet. 1902 erhielt er die Kgl. Ludwigs-Medaille für Kunst und Wissenschaft, 1905 eine Ehrengabe aus der Beethoven-Stiftung, 1906 erfolgte die Ernennung zum Mitglied der Preußischen Akademie der Künste. Im Jahr 1900 trat Thuille zudem als Preisrichter beim Rubinstein-Wettbewerb in Erscheinung. Ab 1905 widmete sich Thuille wieder der Komposition größerer Bühnenwerke. Während die Oper Der Heiligenschein Fragment blieb, wurde die Musik zum »Allegorischen Festspiel« von Joseph von Schmaedel anlässlich der provisorischen Eröffnung des Deutschen Museums in München am 12. Noveber 1906 im Beisein Kaiser Wilhelm II aufgeführt. Ebenfalls anlassbezogen erfolgte die Komposition der Musik zu dem »Epilog nach der Iphigenie von Goethe« (Text Richard Voß) für die letzte Aufführung im alten Großherzoglichen Schlosstheater in Weimar am 6. Februar 1907 vor dessen Schließung. Das Werk wurde am 8. Januar beendet, den Festakt in Weimar erlebte Thuille nicht mehr, er verstarb er am 5. Februar 1907 an einem Herzschlag. Der Trauerakt fand unter großer allgemeiner Anteilnahme in München statt. Anstelle eines Priesters sprach Max Schillings, der Thuille 1905 das sinfonische Chorwerk Dem Verklärten op. 21 gewidmet hatte. Schon bald nach seinem Tode geriet Thuilles Werk weitgehend in Vergessenheit. Anlässlich seines 60. Geburtstags brachte die Stadt Bozen eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus an.
1.
Der erste nachweisbare Kontakt zwischen Reger und Thuilles ergibt sich anhand eines Briefes vom 4. Dezember 1899 an Thuille, den Reger aus Weiden schrieb. Der Briefverkehr muss aber schon vorher begonnen haben, da Reger in seinem Schreiben Bezug nimmt auf Ratschläge Thuilles zur Verlagssuche und als Dank eine Widmung im Rahmen der Sieben Männerchöre op. 38 ankündigt. Zu einem persönlichen Treffen scheint es aber auch nach Regers Übersiedlung nach München 1901 zunächst nicht gekommen zu sein. An Georg Stolz schrieb Reger noch am 7. Februar 1902, er sei mit Thuille “nicht bekannt”(Brief an Georg Stolz vom 7. Februar 1902). Ein Briefwechsel ist aber weiterhin nachweisbar, da Reger einem Brief an Karl Straube vom 8. Dezember 1902, in dem es um mögliche Orgelkonzerte in München geht, ein Schreiben von Thuille beilegt. Bemerkenswert ist das Misstrauen, das Reger inzwischen gegenüber Thuille empfindet. Er hält das offenbar positive Votum Thuilles “nicht für aufrichtig” und führt als Begründung an, Thuille habe über ihn gesagt “man müßte Blut schwitzen, bis man überhaupt meine Harmonien entziffert hätte” (ebd.). Reger hält diese Meinung für ebenso “sehr betrübend wenn ein 1. Compositionslehrer an einer kgl. Akademie der Tonkunst so etwas sagt” wie “so recht bezeichnend für die ganze Richtung Schillings-Thuille etc. etc., welche Richtung ja Dr. Louis so als die alleinig richtige hinstellt”. Rudolf Louis, der in München die maßgebliche publizistische Instanz der Münchner Schule war, hatte in einer Rezension in den Münchner Neuesten Nachrichten vom 11. November 1901 Reger eine “ganz isolierte Stellung” bescheinigt und zu Bedenken gegeben, “daß die Musikgeschichte nicht selten auch gänzlich schrullenhafte Launen und Experimente von rein theoretischen Voraussetzungen ausgehender Neuerer à tout prix zu registriren hatte, über die man sehr bald wieder zur Tagesordnung übergegangen ist. Ob und in welchem Umfange Regers […] Harmonik, die den Begriff der Tonalität bis zu seiner gänzlichen Verflüchtigung erweitern zu wollen scheint, Zukunft beschieden sein wird, es wäre mehr als Vermessenheit, wollte man darüber heute schon eine Prophezeiung wagen”. Damit war die Frontlinie abgesteckt und Regers Gegnerschaft zum Münchner Establishment besiegelt. Fortan nutzte Reger in Konzerten regelmäßig die Gelegenheit, um seine Kompositionen jenen der Münchner Kontrahenten gegenüberzustellen. In Bezug unter anderem auch auf Thuille griff er zu dem Mittel der Parallelkomposition. In einem Brief vom 11. Januar 1903 an Karl Straube bezeichnete Reger Thuilles “Lieder aus seiner allerletzten Schaffenszeit [als:] das ist vollendeter Mist”.Da er etwa zeitgleich in seinem eigenen Opus 70 Nr. 5 das Lied Gruß nachweislich anhand des gleichnamigen Liedes von Thuille (Opus 4 Nr. 1) und nicht des unbetitelten Gedichts von Otto Franz Gensichen komponierte, kann davon ausgegangen werden, dass er bewusst die Konkurrenz suchte. Die Reaktion ließ offenbar nicht lange auf sich warten. In einem Brief an Karl Straube vom 16. März 1903 beklagte sich Reger über Intrigen von “Thuille u. seinem Anhang” und kündigte an, dies öffentlich zu verbreiten, aber “ohne je dabei nur die geringste herabsetzende Bemerkung über Thuille zu machen”. Ob dieser Vorsatz gelang, kann bezweifelt werden, denn am 5. November 1903 revanchierte sich Thuille, indem er einen Eklat herbeiführte. In einem Konzert im Hotel Bayerischer Hof, bei dem neben Violinsonaten von Felix vom Rath und Ermanno Wolf-Ferrari auch als letztes Stück die Uraufführung von Regers Violinsonate op. 72 auf dem Programm stand, verließ Thuille demonstrativ vor der Reger-Sonate den Konzertsaal. Nach dieser öffentlichen Eskalation vereinbarte man man einen Burgfrieden. Insbesondere Reger schlug versöhnliche Töne an, nicht zuletzt um eine Zusammenarbeit mit Thuille und dessen Hochschulkollegen Max Schillings im Vorstand des neu gegründeten Münchner Ortsvereins des Allgemeinen Deutschen Musikvereins zu ermöglichen (vgl. Brief an Paul Cossmann vom 12.11.1903). 1904 bedeutete die Berufung von Felix Mottl zum neuen Präsidenten der Münchner Akademie der Tonkunst einen Wendepunkt für Regers Stand in München. Er hatte nun einen mächtigen Verbündeten. Während 1903 Regers Bewerbung an der Akademie der Tonkunst unter dem alten Direktor Bernhard Stavenhagen, laut Reger dem “»Sprachrohr« der Schillings=Thuillepartei” (Brief an seine Verleger vom 26. Dezember 1904), angeblich trotz eines positiven Votums des Kultusministers noch scheiterte, erfolgte unter Mottl die Berufung zum Kompositionslehrer an der Akademie. Süffisant hält Reger fest, Thuille habe sich “am Tag nach der Bekanntmachung meiner Berufung – krank gemeldet!” (ebd.)
1Quellen: Dr. Friedrich Munter, "Ludwig Thuille", Hrsg. Hermann Wolfgang v. Waltershausen, Drei Masken Verlag München, 1923. Bernd Edelmann "Ludwig Thuille und Richard Strauss. Liedschaffen unter Freunden", Ästhetik der Innerlichkeit. Robert W. Wason "Frühe Lieder der "Münchner Schule" im Spiegel des Liedschaffens Ludwig Thuilles".
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Ludwig Thuille, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_pers_00221.html, last check: 22nd November 2024.
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