Wiesbaden, 12th July 1896
Max Reger to Wilhelm Sadony
Karlsruhe,
Max-Reger-Institut/Elsa-Reger-Stiftung,
Ep. Ms. 364
- Max Reger
Mein lieber Wilhelm!
Mit diesem Briefe erhältst Du die neueste photogravhiehische Aufnahme […]
die Johannes Brahms gewidmete Symphonie h-moll Wo0 I/5 ist verschollen
- Suite in E minor op. 16
- Symphonie h-moll WoO I/5
Der junge Reger. Briefe und Dokumente vor 1900, hrsg. von Susanne Popp, Wiesbaden 2000 (= Schriftenreihe des Max-Reger-Instituts, Bd. XV), S. 277–279
1.
Wiesbaden, 12. July 96.
2.
Mein lieber Wilhelm!
Mit diesem Briefe erhältst Du die neueste photograviehische Aufnahme des bekannten Süffels u. berüchtigten Thonkünstlers Max Reger, was derselbe doch Dir zuerst in aller Freundschaft sendet, mit der Hoffnung allein, daß das Bildniss wunderselig“ in Deinem Hause nicht eine Revolution hervorrufen wird, indem sich Deine Haushälterin u. älteste Tochter hoffnungslos in den Süffel M. R. verlieben. Ob eine Liebe zu mir nun hoffnungslos ist, das bestreite ich nun wieder ganz entschieden.
Denn da ich meine Stellung als „Genius der Onanie“ ja einem anderen hiesigen Thonkünstler mit Strebernase abgetreten habe, so bin ich also wohl im Rechte, behaupten zu können, daß meine „Liebe“ doch in die „Hoffnung“ kommen kann – also keine „hoffnungslose Liebe!“ Sonst verläuft mein feuchtfröhliches Dasein ziemlich eintönig. Ich bin jetzt im größten Streit mit meinem Inneren. Bier fängt doch mit B an – u. der Musiker kennt doch nur ein Normal A – u. doch scheint mir eben wieder Bier das Normale für einen Musiker zu sein. O löst mir dies Rhäthsel???
Den ganzen Tag am Schreibtische! Gräßlich aber wahr! Aber meine Arbeiten schreiten vorwärts dabei u. tragen auch das nötige Moos. Daß ich bei v. Dierricke nicht mehr unterrichte, wird Dich interessieren. Da glauben die Leute, wenn sie einem 3 M für Stunde u Weg bezahlen so wäre alles schon gut – u. man wäre dann sozusagen Leib- u. Kammerdiener! O ja, dabei vergessen die Leute aber immerhin, daß ich die Privatstunden gar nicht nötig habe; denn jede Stunde, die ich am Schreibtische arbeite gibt für mich einen Verdienst von 6–10 M u. dabei habe ich noch für meine Zukunft gesorgt dadurch, indem mein Name durch meine Veröffentlichungen immer mehr bekannt wird u. ferner bin ich nicht bezahlter Musiklehrer, sondern freier Künstler! Diejenigen Leute also, welche nun glauben, daß sie in mir einen Klavierlehrer vermuten u. einen dann so horrent groß bezahlen mit 3 M, die befinden sich im Irrtum!
Ich sage hiermit, diejenigen Leute, die bei mir Stunde haben, können es sich zu Ehre schätzen – u. zu sagen haben sie absolut nichts, gar nichts. Du wirst mich wohl für sehr arrogant halten. Gut; ich halte Dir folgendes vor: Heutzutage ist der Musiker u. Musiklehrer (was ja die meisten Musiker sind) gesellschaftlich durch ihre unverantwortliche Kriecherei zu reinen Maschinen, zu Kreaturen abgesunken ohne Charakter, ohne dasjenige Standesbewußtsein, das doch wir ausübenden Musiker als die Vermittler der Ideen unserer großen Meister haben sollten.
Dieser Brotneid um eine Privatstunde, diese Kriecherei vor Leuten, die vielleicht ein bißchen Einfluß haben könnten, ist zu ein großes Schandmal auf die Gilde der „freien Künstler“. Ich habe mich von allem Verkehr zurückgezogen, lebe nur mehr meiner Musik – und tritt mir einer zu nahe, so soll er eine echt bayerische Faust fühlen, daß er sein Leben daran denkt. Ich bin jetzt fertig mit der Partitur meiner Hmollsymphonie [WoO I/5], (Brahms gewidmet) selbe geht in den nächsten Tage nach London. Gott sei’s Gedankt, daß ich durch meine schriftlichen Arbeiten so gestellt bin, daß ich mich um das liebe, christliche Urteil meiner Mitmenschen nicht zu bekümmern brauche.
Bis jetzt habe ich 1900 M bei Augener stehen u. mit der Symphonie werden es mindestens 3000 M. Von Augener wird jede Note anstandslos genommen, es muß blos meine Unterschrift tragen.
In den englischen Zeitungen schreibt man über meine Orgelsuite [Opus 16]:
Daß die Kühnheit der Widmung (den Manen J.S. Bachs) vollständig gerechtfertigt ist, denn M. Reger hat schon so oft seine eminente Meisterschaft in Harmonie, Kontrapunkt, Canon etc bewiesen; Dieses stolze Präludium, diese gediegene & solide Fuge, das Adagio, mit dem er so eminent geschickt 3 Choräle kombiniert; dieses Intermezzo mit seiner streng canonischen Nachahmung u. diese effektvollen contrastierenden Episoden; dieses Trio mit dieser feinen Nachahmung – u. erst die Passacaglia, die wir zu dem Größten zählen müßen, was je auf diesem Gebiete geschaffen wurde – alles in allem ein Meisterwerk durch u. durch. Inwieweit nun der Komponist es verstanden hat, seiner Musik mehr Inspiration als musikalische tiefste Wissenschaft zu verleihen, das vermögen wir nicht zu beurteilen. Aber es ist nur gerecht dem Autor zu sagen, daß – bis die Schwierigkeiten des Lesens u. der Ausführung überwunden sind u. bis endlich das allgemeine Verständnis uns genügend zu eigen geworden ist, daß wir solcher Musik ohne geistige Anstrengung folgen kann [= können] – daß es also unrecht wäre, ein endgültiges Urteil auszusprechen: denn es sind ja Bach’s größte Fugen durch Unverständnis schon als trocken erklärt worden.“
Ich bin wegen dieses Urteils nun nicht vielleicht stolz oder arrogant – nein – ich bitte Dich sogar von demselben allen Leuten gegenüber zu schweigen, da ich es nicht haben will, daß man solche Dinge über mich spricht.
Was nun die Briefe von Brahms anbetrifft, die ich neuerdings von ihm erhielt, so sind selbe sehr liebenswürdig gehalten u. schreibt er, daß er der dankbarste Empfänger für meine Sachen ist. Und die Art u. Weise, wie er meine Photographie erbat, war ebenfalls sehr nett. Er schrieb: „Hier ist auch mein Bild! Darf ich mir wohl die entsprechende Antwort darauf erbitten? Meinen herzlichsten Dank im Voraus. Mit herzlichsten Grüßen
Ihr
ergebenster
Johannes Brahms
Es ist doch merkwürdig; hier in Wiesbaden glaubt man mich unter die Rolle eines „bezahlten Klavierlehrers“ vermengen zu können u. die größten Künstler der Gegenwart, wie Joh. Brahms, Rich. Strauss, E. D’Albert, F. Busoni etc etc. schreiben in ihren Briefen: „Mein lieber guter Freund!“
Nun weißt Du, lieber Wilhelm, ich will Dir’s nun nachgerade auch erzählen; ich schrieb vor 8 Tagen an Brahms u. also folgendermaßen: daß er hier eine große Gesellschaft von Verehrern hätte – u. da wäre auch Wilh. Sadony dazwischen. Und ich bin überzeugt, daß er, der alte große Meister, sich freut – daß es ihm wohl thut, wenn ich ihm berichte, daß wir zwei so oft an seinem Violinconcerte gearbeitet u. geschwärmt haben.
Nun also sei nochmals herzlichst gegrüßt u. spreche mit keinem Menschen über diesen Brief – weil ich nur vor Dir gegenüber offen ausspreche – u. sonst die ganze Welt für den Narren halte – also Silentium.
Mit bestem Gruß
Dein
aufrichtigst
ergebenster
Freund
Max Reger.
3.
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Original
Object reference
Max Reger to Wilhelm Sadony, Wiesbaden, 12th July 1896, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01000379.html, version 3.1.0-rc3, 20th December 2024.
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