14th June 1902
Elsa Reger to Max Reger
Karlsruhe,
Max-Reger-Institut/Elsa-Reger-Stiftung,
Ep. Ms. 2997
- Max Reger
1.
Lieber Max! Sonnabend.
Von der Langeweile, die hier bei dem unaufhörlichen Regen herrscht, machst Du Dir keine Idee. Trotzdem ich wirklich immerzu mich beschäftige ist es öde u. warum? – weil die Sonne nicht scheint, u. man unausgesetzt friert. Ich bekomme den ganzen Tag keine warmen Hände mehr. War das eine Nacht, die letzte. Du hast wohl sehr an mich gedacht, so um 11–12 Uhr. Ich konnte absolut nicht einschlafen, u. wurde so nervös, daß ich aus Verzweiflung Chocolade aß. Ich werde ganz ruhelos, so fühle ich Dein stetes Denken an mich. Sehn Dich doch nicht gar so sehr nach mir, ich bin sonst nur halb hier. – Max 4 Treppen Zur Wohnung ist ein bisl hoch, weißt wegen meiner Lunge. Du mußt nicht etwa denken u. Dich entsetzen ich sei Lungenleidend, sondern nur ein bisl empfindsam ist sie seit vorigem Herbst geworden. Sehr gern blieb ich aber in der Nähe Deiner Eltern, da Du nicht gern hättest, wenn ich allein in die Stadt ginge, so würde ich sie, wohnten wir weit, selten sehen, u. das thäte mir so sehr leid. – Du gelt, wenn wir im Juli zum ersten Mal allein sind, fragst Du mich die erste Viertelstunde nichts Prosaisches? Ich kann’s mir gar nicht denken, wie unser erstes Sehen wird.
Sonntag Vormittag. Habe vielen Dank für Deine liebe Sonntagskarte, welche mich sehr freute, namentlich über die Teatiner Kirche freute ich mich so, darin bin ich im März gewesen. Nun bist Du im Besitz meines Sonntagsbriefes, u. bist zufrieden, daß ich all Deine Bitten erfüllen will. Weißt Lieber, wenn Du mich um etwas bittest, auch später, dann werde ich nie nein sagen, weil ich Dir doch zu Gefallen leben will. Heute regnet es nun mal zufällig nicht, Nachmittag fahren Berthel, Trudel u. ich zur Kirche, Mama will zu Weichants, von wo wir sie abholen. Es bezieht sich natürlich schon wieder. Wenn es doch morgen nicht regnete, dann möchten Trudel u. ich an den Obersee. Ich weiß noch, wie Dich die Fahrt über den Königsee hinnahm, da sprachst Du kein Wort. Weißt Lieber, nächsten Sommer gehen wir 14 Tage hierher, gelt, Du kannst ja doch immer 3–4 Stunden täglich auch hier arbeiten, dann machen wir zwei all die köstlichen Touren, von denen ich Dir jetzt nur immer die Karten senden kann. Das wird Dir auch gut thun. – Es geht doch nichts über schöne Natur, u. das liebe ich an dieser Gegend so sehr, daß sie das Großartige u. Liebliche in sich vereinigt, sie kann einem nie langweilig werden, weil man immer wieder neue Punkte findet, die einen entzücken u. fesseln. Weil ich nun weiß, wie Du gleich mir die Natur liebst, so möchte ich Dir alles das zeigen, was mich begeistert, u. so wird es Dir mit mir auch gehen, gelt? – Daß Du mit prachtvoller Recension, Lied u. Bild in den Crefelder Festnummern so vertreten bist, freut u. befriedigt mich sehr. Ach wenn’s doch schon Juni 1903 wäre, u. wir nach Basel führen, wie unaussprechlich meine Freude wäre, hörte ich dort Deine Symphonie [WoO I/8], die ich liebe, u. von der ich meine ich kenne sie jetzt schon, das glaub ich, ahnst selbst Du nicht. Ich kann nicht sagen mit wie 1000 Fäden wir verbunden sind, dies prachtvolle gleich fühlen u. Empfinden ist etwas so herrliches, u. darum glaub ich auch, werde ich Dich so lieb gewinnen, wie ich noch nie für einen Mann empfunden, weil ich mich nie mit einem Andern so selisch Eins gefühlt habe. Viel lern ich Dich aus den Anmerkungen der Dichtungen kennen, u. oft ist mir, als sei bei dem Lesen Dir der Gedanke an mich gekommen, u. Du ahnst nicht, wie das mich zu Dir zieht. Ich bezeichne auch jene Sachen die mir gefallen, u. was ich bei manchem gedacht, das wird Dir sofort klar werden. Ich las gestern „Freundschaft u. Liebe“ v. F. Evers. Hat mich sehr interessiert, sein Wendelin ist trotzdem er so weich gezeichnet eine kolossal wahre Erscheinung, u. was er wirkt versteh ich gut, kolossal richtig ist gedacht, daß er den Verstand verliert, denn ein Mann der aus tiefstem Innern so schwärmt so innormal ist, Thatenlos ein Traumleben führt, ohne rechtes Wollen, das kann nicht gut thun auf die Dauer. Die gefühlsseligen Mädchen jener Zeit schildert er riesig richtig. – Jetzt les ich in Dehmels „Erlösungen.“ Viel Schönes, tief gedachtes. Aber laß Dir mal etwas sagen. Schau Max, wie kann man sich als Christus hinstellen, für sich selbst u. das Weib, welches man liebt, wie die Modernen? Warum die Idealgestalt Jesu so verzerren. Gut glaubt nur Natur, so ist Christus doch Gottessohn. Nicht daß er vom Geist ist, stempelt ihn dazu, sondern daß der Geist in ihm ist. – Er ist Mensch, wird versucht, sieh wir erliegen, er wiederstand, das ist die Folge rastloser Selbsterziehung u. grandioser Selbstbeherrschung. Er hat die Überzeugung, daß man mit Güte u. Liebe die Menschen leiten kann, giebt es denn etwas Schöneres? Sieh Jesu ist ja der Innbegriff der Schönheit, warum ihn also mit geronnenem Blut u. verzerrten Zügen zeichnen? Das ist das menschliche an ihm [hier bricht das Fragment ab]
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Elsa Reger to Max Reger, 14th June 1902, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01005405.html, version 3.1.0, 23rd December 2024.
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