Weiden, 25th January 1900

Max Reger to Anton A. Gloetzner

Object type
Letter
Date
25th January 1900 (source)
Sent location
Weiden
Source location
US,
Washington (D.C.),
Library of Congress,
Music Division,
ML 95. R44

Senders
  • Max Reger
Recipients

Incipit
Verehrtester Herr Gloetzner!
Soeben ist mein op 36 erschienen, u. beeile ich mich […]

Regesta
berichtet vom Erscheinen der »Klavierstücke« [Bunten Blätter] op. 36, die dem E. gewidmet sind • sendet diese Stücke zusammen mit op. 34 [Cinq pieces pittoresques] zu • bittet, op. 36 im Unterricht zu verwenden • dankt für das Engagement des E. für seine Werke und klagt über Durchsetzungsschwierigkeiten • ist traurig, dass es zu keiner Aufführung der Cellosonate [op. 28] in Amerika kam • verspricht, die ihm geschickten Orgelwerke des E. an Dimmler zu senden • rät, zu einem Präludium immer auch eine Fuge zu komponieren • empfiehlt, Finger- und Pedalbezeichnungen beim Druck wegzulassen, um »einen gewissen „lehrhaften“ Anstrich« zu vermeiden • bittet um Genauigkeit im Manuskript, um Stichfehler zu vermeiden; hierbei sei auch Zweifarbigkeit hilfreich • empfiehlt weniger Rücksicht auf Organisten zu nehmen: »unsere modernen Organisten machen alles!« • klagt über mangelnden Mut seitens der etablierten Künstler, neue Komponisten einzuführen: »Unser Konzertwesen ist ja eigentlich kein Genuß mehr, sondern mehr ein Vergleichen: wie spielt der, der u der das!« • übersendet die gerade erschienene Orgelsonate [op. 33] • nennt einige seiner Novitäten und verweist auf positive Rezensionen • bekundet, bei seinen Opera 27, 29, 30 und 40 eine »Bach’sche Grundlage« zu haben • berichtet von der Skepsis Josef Rheinbergers seinen Werken gegenüber, der seine Werke »unzugänglich« fände • verweist auf den großen Erfolg Karl Straubes mit seinen Werken • fasst zusammen: »Ich verlange eben einen technisch ausgezeichneten Orgelspieler, einen geistvollen Interpreten u. eine sehr große, moderne Orgel (3 Manuale)« • nennt technische Schwierigkeiten in op. 40 [Choralphantasien] • gibt Notenbeispiel aus der Choralphantasie »Straf’ mich nicht in Deinem Zorn« op. 40 Nr. 2 • erklärt, die Orgel als »Konzertinstrument« anzusehen • beklagt die schlechte Bezahlung und Ausbildung der katholischen Organisten im Gegensatz zu zu den protestantischen • zeigt Unverständnis für die Klagen, dass es in Deutschland keine guten Dichter mehr gäbe • verweist unter anderem auf Detlev von Liliencron, Otto Julius Bierbaum, Richard Dehmel und Anna Ritter • »In meinen opera 35 und 37 habe ich 11 Stücke solcher Poesien vertont! Ich finde, daß unsere moderne Lyrik [...] viel sensitiver geworden ist« • kündigt die Übersendung der gerade im Stich befindlichen Violinsonate op. 41 an • weist auf seine Vier Sonaten für Violine allein op. 42 hin: »Gelt, das ist eine schöne Frechheit, ich als Klavierspieler – Sonaten für die Violine solo zu schreiben! Und gleich 4 Stück!« • weist auf eine Stelle aus op. 34 [Cinq pieces pittoriesques] hin • sendet Neujahrswünsche
Remarks
Referenced works

Publications

Jurriaan Harold Meyer, Max Reger. Rezeption in Amerika. „Die amerikanischen Ohren sind doch etwa so gebaut wie die deutschen“, Bonn 1992 (= Veröffentlichungen des Max-Reger-Instituts, Bd. 11), S. 152–155

1.

Weiden, Oberpfalz, Bayern, Germany,
Allee 22, 25. Jan. 1900.

Verehrtester Herr Gloetzner!
Soeben ist mein op 36 erschienen, u. beeile ich mich Ihnen dasselbe mit op 34 zuzusenden mit diesem Briefe; op 36 sind kleinere Klavierstücke, u. habe ich selbe extra Ihnen dediciert; ich denke, daß Sie op 36 von Ihren Schülern vielleicht mehr spielen lassen können als meine opera 20, 32, da es leichter ist; außerdem dachte ich, könnte es Ihnen auch Spaß machen, wenn Ihr Name auf einem opus steht, welches opus Ihre Schüler fleißig benützen. Also besten Dank im Voraus für Alles, was Sie thun!
Besten Dank auch für das Viele, das Sie sonst für meine Werke thun! Es ist schwer, sehr schwer einen Komponisten einzuführen – u. möchte man oft verzweifeln; besonders der „Hochmut“ unserer Herrn Kollegen ist es, der die Sache so erschwert! Und wenn dann erst der Staat noch einen Titel verleiht – so ist die „Majestät“ schon fertig; – u. wenn man die Herren genau ansieht, so ist es oft (sogar meistens) blutwenig, was sie wirklich leisten.
Daß Cellosonate [op. 28] nun dieses Jahr nichts wird, thut mir sehr leid!
Nächstes Jahr wollen Sie ja selbe sicher machen, u. danke ich Ihnen jetzt schon bestens dafür!
Nun zu Ihren Orgelsachen, die ich nächstens an Herrn Dimmler senden werde; ich rathe Ihnen nochmals zu jedem Präludium eine entsprechende Fuge zu schreiben; wir sind es von Bach her zu sehr gewohnt, bei einem Präl. auch eine Fuge zu wissen. Ferner alle Finger- u. Pedalbezeichnungen nicht mehr schreiben; es bekommen durch Fingersätze neu erscheinende Komposition[en] gleich einen gewissen „lehrhaften“ Anstrich, den ich vermeiden würde. Ferner noch etwas; verzeihen Sie meine Offenheit; wenn Sie die Orgelsachen schreiben, so bitte alle Ligaturbögen genauestens von Note zu Note durch zu schreiben. (also [Nbsp.]; nicht [Nbsp.]) nämlich, Sie könnten sich sonst vor Stichfehlern nicht retten! Den Stechern muß man die Sachen wie auf’m Butterbrod servieren; machen Sie es doch so wie ich, jedes, jedes Vortragszeichen mit rother Tinte; nur die Noten u. [Bogen] schwarz; alles andere roth. Dadurch wird das Manuskript bedeutend übersichtlicher.
Ferner noch was! Nehmen Sie bitte bei zukünftigen Orgelsachen gar keine Rücksicht mehr in Bezug auf Ausführbarkeit; unsere modernen Organisten machen alles!
Ein Verleger scheut heutzutage hauptsächlich davor zurück, einen neuen Namen einzuführen, da dies mit unglaublichen Schwierigkeiten verbunden ist! Interessiert sich mal ein Verlag wirklich dauernder, so geht es leichter! Dabei müssen Sie bedenken, daß unsere ausübenden Künstler selten den Muth haben, etwas Neues zu bringen. Ich habe sogar die Erfahrung gemacht – u. die Betrachtung unserer Programme beweist es – je anerkannter (ob durch künstliche Reklame oder verdient) einer da ist, desto weniger bringt er! Unsere Klavierspieler spielen absolut nichts Neues! Ein wirklich ernsthaft strebender Komponist kann erst auf die nachfolgende Generation hoffen! Leider Gottes! Unser Konzertwesen ist ja eigentlich kein Genuß mehr, sondern mehr ein Vergleichen: wie spielt der, der u. der das!
In nächster Zeit erscheinen einige neue Orgelsachen; ich sende Ihnen heute auch eine soeben erschienene Orgelsonate [Opus 33]; sonst erschien von mir an Orgelsachen: op 27 Phantasie über den Choral: [„]Ein feste Burg ist unser Gott“. Op 29 Fantasie & Fuge (C moll) (op 27 u. 29 bei Rob. Forberg in Leipzig erschienen!) op 30 Phantasie über den Choral „Freu dich sehr, o meine Seele!“, op 33 I. Sonate für Orgel; (op 30, 33 bei Aibl in München!)
Im Stich sind noch 2 Orgelsachen: op 40a Phantasie über den Choral: [„]Wie schön leucht’t uns der Morgenstern“ op 40b [Phantasie über den Choral: [„]Straf mich nicht in Deinem Zorn!“ (erscheinen bei Jos. Aibl in München.) In Organistenkreisen haben diese Sachen Aufsehen erregt; die Sonate ist „romantisch“! Alle anderen opera 27, 29, 30, 40 a u. b sind ganz und gar auf Bach’scher Grundlage! Es sind über die bisher erschienenen opera 27, 29 u. 30 ganz famose Besprechungen in allen möglichen Zeitschriften erschienen; nur einer stellt sich den Sachen skeptisch gegenüber: Rheinberger! Zwar schreibt er anerkennend über meine Begabung – aber die Sachen erklärt er für unzugänglich für den Hörer! Na; ich weiß daß mein Freund Straube (ein eminenter Orgelvirtuose) op 27 (Ein feste Burg) 3x wiederholen mußte! Wo bleibt da die Unzugänglichkeit! Ich verlange eben einen ausgezeichneten Orgelspieler, einen geistvollen Interpreten u. eine sehr große, moderne Orgel! (3 Manuale)[.] Meine opera 40a u b enthalten Stellen, vor denen man zuerst zurückschrecken wird! So z.B. in Op 40b eine Stelle, wo im II. Man fff (alle Register, Mixturen etc etc) die ganze chromatische Terzenskala von in schnellstem Tempo heruntersaust, dazu Choral (dick u. massig) im I. Man., u. dazu Doppelpedal (selbständige Stimmen!) Solche Stellen finden sich oft, mögen zuerst manchen abstoßen; aber ich weiß, daß man sich daran gewöhnen wird! Ich behandle eben die Orgel durchaus als Konzertinstrument! Mit dem „Kirchlichen“ hat’s seine Sachen. Der katholische Organist hat nie Gelegenheit, etwas zu spielen; der katholische Organist kann auch gewöhnlich nichts! man bezahlt auch in Deutschland die katholischen Organisten sehr schlecht; die Protestanten lassen sich ihre Organisten etwas kosten; da haben wir einige famose Virtuosen! Deshalb auch meine Phantasien über protestantische Choräle, was mir natürlich religiöse Beschränktheit gewaltig in Übel [genommen] hat! Als ob es in Religion eine Kunst gibt! Die größte Messe stammt von einem Protestanten! (Bach!) Pardon, gerade verschrieb ich mich: ich wollte schreiben, als wenn es in Kunst eine Religion gibt!
Ebenso finde ich das Gejammere unserer deutschen „Leib- u. Magenblätter des Bildungsphilisters“ (wie z.B. Gartenlaube, etc.), daß es keinen „Lyriker“ mehr gäbe, einfach lächerlich! Z.B. welche wunderbaren, wirklich poetischen Gebilde allerersten Ranges haben unsere neudeutschen Dichter wie D. von Liliencron, J.O. Bierbaum, R. Dehmel, E. Bodmann, Anna Ritter, O. Wiener etc etc. geschaffen! In meinen opera 35 u 37 habe ich 11 Stücke solcher Poesien vertont! Ich finde, daß unsere moderne Lyrik (von diesen obengenannten Dichtern) viel sensitiver geworden ist! Viel feiner auch! Und wie wunderbar verwendet z.B. Bierbaum den Stabreim! Eine Violinsonate (op 41 III. Sonate (A dur) für Violine u. Pianoforte) ist im Stich; sende Ihnen sofort! Ferner habe ich als op 42 – 4 Sonaten für die Violine (ganz allein, ohne jede Begleitung!) geschrieben. (Alles bei Aibl) Gelt, das ist eine schöne Frechheit, ich als Klavierspieler – Sonaten für die Violine solo zu schreiben! Und gleich 4 Stück! Die sende ich Ihnen auch!
Nun habe ich Sie lange aufgehalten! Nehmen Sie nochmals meinen herzlichsten Dank für Alles entgegen, was Sie für meine Werke thun! Bitte, lassen Sie meine Sachen (besonders op 20, 36, u. 32) recht fleißig spielen; (auch op 34) Gelt; in op 34 No IV da ist am Schlusse so, daß auf 1 Takt des Sekundo 3 Takte des Primo kommen. (von Amoll an (nach dem Adur) Da wird so mancher verrechnen; es steht aber bei Adur-theil genau dort. =
Nun, leben Sie recht wohl; bitte grüßen Sie die verehrten Ihrigen recht von mir; meine Eltern u. Schwester lassen Sie u. die Ihrigen bestens grüßen. Ihrem Herrn Vater geht es immer wohl; natürlich bei dem Wetter kann er nicht spazieren gehen!
Für die guten Wünsche zu Neujahr den besten Dank! Im Geiste drückte ich Ihnen am Neujahr herzlichst die Hand!
Mit besten Grüßen u. der Bitte mich recht bald wieder mit Brief zu erfreuen

Ihr
ergebenster
Max Reger

Object reference

Max Reger to Anton A. Gloetzner, Weiden, 25th January 1900, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01006535.html, last check: 22nd November 2024.

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