München, 23rd April 1902
Max Reger to Elsa Reger
Karlsruhe,
Max-Reger-Institut/Elsa-Reger-Stiftung,
Ep. Ms. 1699
- Max Reger
Mein Liebling!
Besten, herzlichsten Dank für Brief; wie hab’ ich mich über diesen Brief […]
1.
Mittwoch abend!
Mein Liebling!
Besten, herzlichsten Dank für Brief; wie hab’ ich mich über diesen Brief gefreut! Ich beantworte Ihren Brief sehr genau!
Ja, ich habe Sie gehaßt; das habe ich Ihnen ja doch schon geschrieben – aber Sie wissen wohl auch, in was sich dieser Haß verwandelt hat! – ! So, nach München möchten Sie – lassen Sie Sich mal was sagen ganz leise: ich möchte so gerne, ach so gerne nach Schneewinkl! Wissen Sie, zu wem ich da möchte? Ich soll barmherzig sein müssen u. nicht so viel u. so rasend sehnsuchtsvoll an Dich denken? Ja, kann denn ich was dafür, daß ich so sehnsuchtsvoll an Dich denken muß!
Und wenn Du nach München kämst – nun denn – dann – was dann – – würde meine Liebe über Dich siegen; ich weiß es! – Warum plötzlich Angst um mich haben? Ich bin nicht krank; sehr gesund; trinke nie nur den geringsten Alkohol – u. bin sehr fleißig! Wenn Sie mir liebe Briefe schreiben u. mir Hoffnung geben, dann überarbeite ich mich nicht – dann „fliegt“ die Arbeit nur so! Ich bin heute nachmittag sogar spazieren gewesen, habe ganz „ausgespannt“!
Sehnsucht hast Du nach mir! Liebling, welche Sehnsucht habe ich nach Dir! Ahnst Du es vielleicht? – Und dann gleich kommst wieder grausam, so grausam: „Aber ich liebe Sie nicht u. kann nicht „ja“ sagen!“ Warum so grausam sein!
„Befiehl dem Herrn“ [WoO VII/34] ist doch so einfach, nur nicht schleppen dabei! Ob es noch geht, daß ich es Ihnen u. Baronesse widmen kann, weiß ich nicht; es wird im Mai in der Musikzeitung „Musikwoche“ erscheinen! Wenn es noch geht, setze ich die Dedication noch drauf! Aber nicht böse sein, wenn es nicht mehr zu machen ist!
Wegen Widmung an Dich allein – so habe ich mir da etwas ausgedacht – das Dich sehr, sehr freuen wird – aber das geht nur, wenn Du „ja“ sagst!
– Ja, Elsa, süß Liebling, Du brauchst nur „ja“ zu sagen u. die Arme auszustrecken u. hättest einen Mann, der Dich so unsagbar [lieb] hat, der nur für Dich u. Dein Glück leben würde, der Dich so mit unendlichster Liebe u. Zärtlichkeit überschütten würde, Dir ein so seliges Heim bieten würde, wo Du tiefsten Frieden finden würdest! – Ja, Liebling, wenn ich einmal in meinen Armen gehalten hätte, ich ließe Dich nicht mehr los! Nein, nie mehr! Geliebte, ich weiß auch Du würdest mich dann nicht mehr „abscheulich“ finden u. Dein Herz würde erwachen! Ich weiß es!
Also Du willst wissen, wie mir wäre, wenn Du morgen einen Anderen heiraten würdest – aber Liebling, wie kann ich das Dir schreiben, nur genau weiß ich’s selbst nicht – aber das weiß ich, ich wäre so elend, so elend, so gottsjämmerlich dran, ich würde es mir so zu Herzen nehmen, daß man für meinen Verstand fürchten müßte! – Denn das wäre mir das Schrecklichste, was mir je passieren könnte, wenn Du einen anderen heirathen würdest – u. dann die Bitterkeit, die über mich käme! Meinst Du denn, ich, der ich dann mein Lebensglück verloren hätte, könnte dann noch jemals einen ruhigen Augenblick haben – nein – es wird an mir zehren u. zehren bis an mein Ende!
Warum getraust Du Dich nicht, bei mir Frieden zu finden? Wir haben unser Heim, in dem wir leben; von Deinen Dich nicht liebenden Verwandten wärest Du vollständig befreit – u. ich – nun, ich würde alles, alles, alles, alles thun, um Dir bei mir nur Glück zu bieten!
Gottlob, daß Du nicht krank bist – ich hab’ mich schon so geängstigt!
Elsa, unser kleiner Haushalt würde Dich nicht anstrengen; Du hättest so viel Zeit, Dich gründlichst ausruhen zu können – ich würde Dir schon Ruhe u. Schonung aufoktroieren – jeden Tag Arm in Arm mindestens 1 Stunde ins Freie spazieren gehen – u. wär’s Wetter schlecht oder Du nicht wohl – nun dann bliebe ich selbstverständlich bei Dir zu Hause – u. wie ich jede freie Minute meiner Frau widmen würde – Liebling, kannst Du es Dir denn gar nicht denken u. vorstellen, wie ich zu Dir wäre! Bei mir würdest Du nicht krank werden, denn bei mir dürftest Du Dich nie überanstrengen!
Gewiß: Flieder [op. 35 Nr. 4] gehört uns beiden zusammen!
Es gibt ein einfaches Mittel, mir gegen diese „innerste Verzweiflung“ zu helfen – sag: „Max, ich werde Deine Frau, im April 1903 heirathen wir!“
Sag mir dazu, daß Du mich ein ganz klein bißchen lieb hast!
Nein, Liebling, das Arbeiten macht mich nicht elend u. abgemattet – besonders dann erst, wenn ich weiß, die Süßeste wird mein, dann erst ist mir Arbeiten ja eine Freude – denn Du ahnst nicht, welche Elastizität des Geistes mir ein liebes Wort, ein lieber Brief von Dir gibt! Schreibst Du aber nicht lieb – – o Du – dann kommt jene Verzweiflung! Ich weiß es ja, wie unendlich lieb Du zu mir sein würdest, wenn Du meine Frau wärest – o, ich weiß es – u. nie, nie würdest Du ein hartes Wort von mir hören! Und Dein Trotzköpfchen verginge auch – sicher –; wenn Du sehen würdest, wie so unendlich liebevoll ich als Dein Mann für Dich sorgen würde – Dich mit Liebe so umgeben – Du wärest dann nicht trotzig – nein! Dazu kenne ich Dich viel zu gut! Und „gehen lassen“ würde ich mich nie! Ich weiß doch, wie sehr Du das hassest!
Elsa, – Du und „Schwester“ werden – ich bitte Dich, welche Idee!
Ein Weib, wie Du, das dazu berufen, einen Mann, der Dich so treuinnigst liebt, der Dich so hochschätzt – disen Mann so recht selig zu machen – nein, das gibt’s nicht, nie u. nimmer, daß Du „Schwester“ wirst! Ich gebe es einfach [7fach unterstrichen:] nicht zu!
Wenn ich Dich heirate, so ist da absolut kein Risiko dabei – ich weiß nur zu gut, was ich an Dir habe – soll ich denn Dir das sagen – o, wenn Du das wüßtest – ! Ja, und ich glaube es felsenfest, daß meine Liebe die Deine erzwingt! Das weiß ich!
Ich soll Dir schreiben vom 11. April früh 5 Uhr. Nun ich lag wach im Bette u. dachte gerade sehr lebhaft an Dich u. da war mir auf einmal alles klar – ich wußte auf einmal, welche Antwort Du mir im August auf meine Frage geben wirst etc etc etc. Ich wußte so viel, wie es werden würde, wenn wir uns verheiraten – aber, Elsa, ich kann Dir jetzt nicht schreiben, welche Antwort Du mir im August geben wirst! In jenem kleinen Brief steht sie drinnen! Ich bitte dringendst, den selben nicht eher zu lesen u. zu öffnen als bis ich es Ihnen schreibe! Mehr kann u. darf ich nicht verraten! Also nicht zürnen deshalb!
Aber, Liebling – ich bitte Dich – ich mich –, wenn Du meine Frau bist – Geliebte, nein, niemals!
Ich weiß es nur zu gut, daß ich nicht nur Dein Glück, sondern auch Dein Leben in meiner Hand hätte, wenn Du meine Frau bist! – Ahnst Du aber auch, wie ich Dein Leben behüten würde? Geliebte, ahnst Du das?
Ich weiß auch, daß Du mich nie quälen würdest mit kleinlichen Dingen – also liefe ich auch nie, nie weg! Freunde können mich nie quälen mit kleinlichen Dingen – denn thun sie das, dann gebe ich ihnen so hinaus, daß sie beim ersten Mal die Lust, mich zu quälen gründlichst verloren haben. Quälen können mich bloß mir sehr Nahestehende!
Ich gebe bloß der Tochter des genialen Bildhauers Hildebrandt Stunde – die ist aber ganz ungefährlich! Also kein Grund zur Eifersucht! Die Concert-Saison ist glücklich vorüber! Loritz spielt weiter den Haustyrannen. Mein Vetter [Maximilian] Ulrich ist reich; d.h. er ist Generaldirektor der Stuttgarter Rentenanstalt, was ihm jährlich so 12000 M trägt. Außerdem hat er vielleicht so 200 000 M Vermögen; seine Frau, die sein guter Engel war u. ist, war Schauspielerin! Ulrich’s haben direkt gesehen, daß Du mir nicht „gleichgültig“! – Denn, wann hätten die von mir je erlebt, daß ich Damen nur anredete! Dazu ist die Frau viel zu „helle“ (wie der Sachse sagt) als daß sie nicht „ahnte“! Sie sagte nachher, sie wüßte nun ganz genau, warum ich mich immer so gegens Heirathen gesträubt hätte, gab mir auch Recht, denn Du hast ihr ganz ausnehmend gefallen!
Warum meine Mutter nichts gegen Deinen Plan „Schwester“ zu werden schrieb – nun – da bin ich schuld; sie hätte schon dagegen geschrieben – ich habe sie gebeten nichts dagegen zu schreiben 1) damit Du Briefe von meiner Mutter jetzt immer Deiner Frau Mutter zeigen kannst – 2) damit Du nicht denkst, ich wollte Dich dadurch beeinflussen! Nein, ich weiß es ganz bestimmt, daß es meiner Mutter, wie ebenso meinem Vater nur sehr erwünscht wäre, wenn Du mich heirathen würdest! Meine Eltern sind hier in ihren Ansichten doch schon freier geworden – u. würden mich absolut nicht im Geringsten bedauern, eine solche Heirat zu machen – im Gegentheil froh, sehr froh sein, weil sie Dich eben kennen gelernt haben u. auch wissen oder resp. ahnen, wie ich an Dir hänge! Also sei Du darüber ganz beruhigt! So z.B. als ich meiner Schwester letzthin die Obligation von den meinen schenkte, protestierte meine Mutter dagegen, weil sie sagte, ich könnte es schon brauchen, wenn ich heiratete! – Nun ich habe eben doch meinen Willen durchgesetzt! Emma kann das Geld schon brauchen!
Die übrigen Verwandten von mir kümmern sich nicht um mich, ich mich viel weniger um sie; die geht die Sache absolut nichts an. Sollte aber einer mal eine Dir oder mir mißliebige Äußerung machen, so würde ich ihm schon kommen, daß ihm Hören u. Sehen verginge! Ich bin bei meinen Verwandten (mit Ausnahme des Ulrich u. Frau, die Du ja kennen lerntest) sehr unbeliebt; denn ich habe 1. eine Laufbahn eingeschlagen, die ihnen nicht recht ist, denn sie fürchten als „richtige Verwandte“, daß ich es weiter als sie selbst bringen könnte 2) bin ich sehr kühl, denn die Leute wissen ja doch nicht, was ich will!
Deine Visitenkarte: Elsa Reger
geb. von Bagenski
Nein u. abermals nein: es gibt keine Frau, die Dich mir ersetzen kann!
Aber Geliebte: was gäbe es für mich denn Schöneres als Dich lesen zu dürfen!
Nun, muß ich Dir was berichten!
Letzten Sonntag machten wir mit Ulrich’s u. Braungart’s einen Ausflug ins Isarthal, auf dem ich wie gewöhnlich wieder sehr schweigsam war, da ich immer u. immer an Dich denken mußte! Auf dem Rückwege als wir uns trennten, fuhren meine Eltern u. meiner Schwester nach Hause, während ich es vorzog zu Fuß die Stunde Wegs nach Hause zu gehen – ich mußte allein sein; denn das Deiner Gedenken, das Träumen von Dir, von unserer Ehe, war so übermäßig geworden, daß ich allein sein mußte – u. so bin ich von 7 Uhr bis 9 Uhr (2 Stunden zu 1 Stunde Wegs) immer hart an der Isar gegangen, den Kopf tief, tief auf die Brust gesenkt u. habe immer u. immer an Dich gedacht, u. immer vor mich hingeflüstert, alles Dir ins Ohr flüsternd – gerade als wenn wir in 1 Jahre den Ausflug machen würden u. wir abends im Dunkel, eng aneinandergeschmiegt nach Hause gingen – o Du Geliebte, was habe ich da in meinen so seligen Träumen alles für mich geflüstert! Was habe ich alles geträumt von Dir, wie schön wird es bei uns werden – u. nun Geliebte – träume ich schon wieder von Dir; ich weiß es, wie sehr glücklich Du mich machen würdest! Sag nicht mehr „nein“ – – Ach Gott, wenn das alles in Erfüllung ginge, was ich da geträumt habe – u ich weiß, alles, alles geht in Erfüllung – Du brauchst nur „ja“ zu sagen! Geliebte, nochmals herzinnigsten Dank für Deinen Brief; sieh, alle Bitterkeit ist sofort weg – ein liebes Wort von Dir! Mir ist es ja selbst unbegreiflich, wie es sein kann, daß Du solche Macht über mich hast – Aber Geliebte, die Macht hast Du nur durch Liebe!
Nun höre, damit sich unsere Briefe nicht fortwährend kreuzen, so warte ich also, ehe ich Dir wieder schreibe, Deine Antwort auf diesen Brief ab! Bitte, schreib mir recht balde großen, großen, lieben, lieben Brief! Gelt ja mein Schatz! Hast Du die Kiste erhalten? Bitte, mir in Deinem [näch?]sten Briefe genau zu schreiben, ob Du diesen Brief von Mittwoch abend erhalten hast! Ich schreibe erst dann wieder, wenn ich Antwort auf diesen Brief habe. (Es könnte sonst zu auffällig werden)
Nun, leb recht wohl, schönste Grüße Dir u den Deinigen u die besten Wünsche zur Gesundheit Deiner Frau Mama!
Bitte, vergesse nie, mit welcher Liebe ich stets u. stets Deiner gedenke!
Dein
M.
Ich bringe den Brief – es ist 10 Uhr abends – auf den Ostbahnhof, damit er möglichst schnell fortkommt. Also: ich muß erst Antwort auf diesen Brief haben, ehe ich schreibe; es könnte sonst zu auffällig werden!
Bitte, mir [fünffach unterstrichen:] recht balde großen, großen u. lieben Brief zu schreiben, der mir Hoffnung gibt
Dein
M
(Einen letzten Kuß dem süßen Händchen!)
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Max Reger to Elsa Reger, München, 23rd April 1902, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01004236.html, last check: 14th November 2024.
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