München, 5th June 1904

Max Reger to Carl Lauterbach und Max Kuhn, Lauterbach & Kuhn

Object type
Letter
Date
5th June 1904 (source)
Sent location
München
Source location
DE,
Berlin,
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz,
Musikabteilung,
Mus.ep. Max Reger 183

Senders
  • Max Reger
Recipients
Lauterbach & Dr Kuhn
Leipzig
Rossstrasse 18

Incipit
Meine sehr geehrten Herren!
Für Ihren frdl. Brief besten Dank! Der Augenblick […]

Regesta
hat Erfolg mit seinen Werken, sobald symphonische Dichtung »abgehaust hat« • lästert über »„Domestiquen-Symphonie [Sinfonia domestica] des amerikanischen Warenhausdirigenten« Richard Strauss • dem Werk fehlt es an Ethos • die Darstellung privater Vorgänge in der Symphonie ist ihm zuwider • verweist auf Einheit von »Kunst und Religion« • »was unserer heutigen Musik mangelt: ein Mozart!« • hat deshalb op. 77a Serenade D-Dur und op. 77b Streichtrio a-Moll geschrieben • bittet, den Brief Karl Straube zur Lektüre zu geben • verspricht Übersendung von [Choralkantate] »O Haupt voll Blut und Wunden« [WoO V/4 Nr. 3] bis 1. April • E. ist der Genossenschaft [deutscher Tonsetzer] beigetreten • verweist, dass Aufführungs- und Urheberrecht nun Genossenschaft gehören [E.: »Nein!!«] • übersendet Schlichte Weisen op. 76 Nr. 8–14 • bittet um Abschrift von Mein Schätzelein (Nr. 14), für [Lula] Mysz-Gmeiner anzufertigen • Honorar für Schlichte Weisen • Nachtrag der Widmung [an seine Frau Elsa]
Remarks

gelocht enthielt das Manuskript zu op. 76 Nrn. 8–14

Referenced works

Publications

Max Reger, Briefe an die Verleger Lauterbach & Kuhn. Teil 1 [1902–05], hrsg. von Susanne Popp, Bonn 1993 (= Veröffentlichungen des Max-Reger-Instituts, Bd. 12), S. 323–325

1.

[Gedruckter Briefkopf:]
Max Reger
München
Preysingstrasse 1bI.] München, den 5. Juni 1904.

Meine sehr geehrten Herren!
Für Ihren frdl. Brief besten Dank! Der Augenblick, in dem meine Sache auf den Schild als „erste Kunst“ gehoben wird, ist dann gekommen, wenn die „symphonische Dichtung“ als solche abgehaust hat – u. daß dies recht balde geschieht, dafür sorgen die Tonkünstlerversammlungen des Allg. D. M. – Welche Impotenz u. notorische Unfähigkeit da wieder verzapft worden ist, – na, das wissen die Götter! Auch die „Domestiquen–Symphonie [Sinfonia domestica] des amerikanischen Warenhausdirigenten ist für mich nur ein weiterer Beweis, von der absteigenden Linie, auf der sich R. Strauß bewegt! Mag nun unsere deutsche Presse noch so sehr „jubeln“ über diese „Symphonie“ (???), welchen Jubel ich sehr wohl verstehe: – denn bei der anerkannten Dummheit unserer Presse ist es nicht zu verwundern, daß keiner der Herren einsehen wird, daß Strauß 1. in diesem Werke in seiner Melodik, der Erfindung der Themen von einer für mich ungenießbaren Banalität ist, daß er [recte: es] 2.) in dem ganzen Werke nicht ein Moment gibt, welches eine neue Gefühlsnüance von ethischem Wert auslöst! 3.) Daß Strauß in der Liebesscene dieser Symphonie sich nicht scheut, jenen Vorgang zwischen Mann u. Frau (NB. in diesem Falle zwischen ihm u. seiner Frau!) welchem Akte wir alle unser Leben verdanken, mit solcher Realistik zu verdeutlichen – darin liegt für meine Begriffe eine solche schamlose Prostitution seiner (Straußen’s) intimsten Ehelichen Verhältnisse – auch aber eine Prostitution der Musik, daß er die heilige Musik, die die alten Griechen als „Erfindung“ resp. Eigenthum des Gottes Apollo betrachteten – zur Schilderung seines geschlechtlichen Verkehres mit seiner Frau (Strauß) herabwürdigt! Ob er diesen Akt nun mit großer Kunst (aber banalen Motiven) noch so „genial“ – das Geniale auf schlechten Wegen – gemalt hat, kommt bei mir nicht in Betracht – mich stößt der Grundgedanke so ab, daß es mir von nun nicht mehr möglich ist, Strauß als Komponisten ernst zu nehmen! Eine spätere Zeit, wenn wir mal wieder gelernt haben werden, daß Kunst u. Religion im innersten Wesen eins sind, daß Kunst und Religion als oberstes u. einzig zu erstrebendes Ziel das haben sollen u. müssen –: die Menschheit zu veredeln, zu erheben, die Menschheit aus dem „Irdischen“ zu befreien, – in dieser nicht mehr fernen Zeit wird man jene Abwege, jene grauenvollen Verirrungen, in denen die Künste unserer Zeit wandeln mit Abscheu u. mit tiefem Bedauern über den Niedergang des menschlichen Empfindens betrachten!
Mir ist’s absolut klar, was unserer heutigen Musik mangelt: ein Mozart! – Und nun ganz offen: die ersten Früchte dieser Erkenntnis, welche sich in mir seit geraumer Zeit durchringt, sind: op 77a Serenade für Flöte, Violine u. Viola u. op 77b Trio für Violine, Violine [recte: Viola] u. Violoncello!
Und auf dem nun neu gewonnenen Wege, der absolut nicht „unregerisch“ ist, werde ich nun fortschreiten. Bitte, lassen Sie diesen Theil dieses Briefes bis hierher auch Herrn Straube lesen!
„O Haupt voll Blut“ [WoO V/4 Nr. 3] wird baldmöglichst erledigt! Sie dürfen versichert sein, daß ich alles thun werde, um Ihnen die Sachen bis 1. August übersenden zu können! D.h. die neuen Werke!
Daß Sie nun der „Genossenschaft“ beitreten, freut mich sehr; Sie haben da weiter nichts zu thun als die Werke anzumelden u. je ein Belegexemplar einzusenden, welche Exemplare Sie wieder zurückerhalten! Nochmals bitte ich Sie aufs Dringendste über all, all die Vereinbarungen zwischen uns absolutes Silentium gegen jedermann; Sie gaben mir ja s.Z. Ihr Wort!
Also: Aufführungs- u. Urheberrecht [Einfügung mit Blaustift: Nein!!] gehören nun der „Genossenschaft“! Ich bin überzeugt, daß Sie diesen Ihren Schritt nie bereuen werden! In Ihrer Verlagsthätigkeit können Sie ja durch Ihren Eintritt in die Genossenschaft niemals geschädigt werden.
Bitte, schreiben Sie mir ja darüber – auch bitte ich Sie nochmals um strengstes Silentium gegen jedermann über unsere besonderen Vereinbarungen in dieser Angelegenheit – hauptsächlich aber auch um tiefstes Silentium über unsere Verlags verträge gegenüber jedermann – auch gegenüber der „Genossenschaft!“
Anbei finden Sie, wie versprochen, die neuen „schlichten Weisen“ op 76 No 8–14. Ich bitte Sie sehr, von No 14 „Mein Schätzelein“ umgehendst eine gute Abschrift anfertigen zu lassen und diese Abschrift baldmöglichst zu senden an Frau Mysz–Gmeiner, deren Adresse Sie ja in jedem Musiker–Kalender ersehen können; bitte sehr, mich zu benachrichtigen, wann die Abschrift an Frau M.-G. abgeht – baldigst!
Betreff Honorar, so bitte ich Sie mir wieder 400 M (wie für No 1–7 ) für die 2. Serie der „Schlichten Weisen“ gut schreiben zu wollen. Ich ersuche Sie, die Widmung, welche No 1 der Schlichten Weisen trägt, auf alle No der „Schlichten Weisen“ setzen zu wollen! In No 2–7 wurde das vergessen!
Nun schönste, beste Grüße an Sie, meine sehr verehrten Herren, Frau Lauterbach u. tout „Leipzic“ von meiner Frau, besonders
von Ihrem Ihnen treulichst ergebensten
Max Reger.

Bitte, Titelblatt-entwurf – Umschlag (gelb) der „Schlichten Weisen“ – freundlichst beachten zu wollen.

Object reference

Max Reger to Carl Lauterbach und Max Kuhn, Lauterbach & Kuhn, München, 5th June 1904, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01008436.html, last check: 22nd November 2024.

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