München, 18.–19. March 1905

Max Reger to Carl Lauterbach und Max Kuhn, Lauterbach & Kuhn

Object type
Letter
Date
18.–19. March 1905 (source)
Sent location
München
Source location
DE,
Berlin,
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz,
Musikabteilung,
Mus.ep. Max Reger 203

Senders
  • Max Reger

Incipit
Meine Lieben!
Endlich langt’s zu einem Briefe! Die famose Kritik des Herrn Otto Leßmann […]

Regesta
18.3: wütet gegen Otto Leßmann wegen Kritik in der Allgemeinen Musikzeitung • wirft ihm Scheinheiligkeit vor und gar, er würde seinen Dienstmädchen nachstellen • hat mit Brief an [Louise] Wolff reagiert, der jedoch diplomatisch gewesen ist • will sich bald an Leßmann rächen • Pauline von Erdmannsdörfer-Fichtner ist auf seiner Seite • bevorstehende Reger-Konzerte • [Wilhelm] Kes und [Ernst von] Schuch haben Interesse an der Sinfonietta [op. 90] • bittet, sich am Defizit für Konzert am 4.3. in Leipzig zu beteiligen • will nach Frankfurt-Reise seine Violinsonate fis-Moll op. 84 »druckfertig« machen • Honorarvorschlag 600 Mark • kündigt weitere Werke an: Sinfonietta, »die leichten Klaviersonaten« [dann: Vier Sonatinen op. 89], Schlichte Weisen [op. 76], Bd. 2, Lieder [dann: Vier Gesänge op. 88] für [Lula] Mysz-Gmeiner, Choralkantate [»Auferstanden, auferstanden« WoO V/4 Nr. 5] zu Ostern [unvollendet] • [Heinrich] Zöllner trägt ihm an, für Leipziger Tageblatt zu schreiben • große Konzerterfolge von op. 74 [Streichquartett d-Moll] in Basel und Zürich • gute und dennoch billige Wohnung in der Victor-Scheffel-Str. in München gemietet 19.3.: dankt für [Reproduktion] von Der geigende Eremit [von Arnold Boecklin] • will auf Anfrage für Harmonielehre vom Verlag Ries & Erler mit überzogener Honorarforderung antworten • hat bereits Feedback von Louise Wolff in Sachen Leßmann (s.o.) • sendet Brief von Zöllner und bittet, diesen aufzubewahren • muss am Geburtstag ca. 20 Briefe schreiben • Konzertstress
Remarks
Referenced works

Publications

Max Reger, Briefe an die Verleger Lauterbach & Kuhn. Teil 1 [1902–05], hrsg. von Susanne Popp, Bonn 1993 (= Veröffentlichungen des Max-Reger-Instituts, Bd. 12), S. 458–464

1.

[Gedruckter Briefkopf:]
Max Reger
München
Preysingstrasse 1bI.] München, den 18. III. 1905.

Meine Lieben!
Endlich langt’s zu einem Briefe! Die famose Kritk des Herrn Otto Leßmann in seiner Zeitung No 11 Seite 206 u. 207 habt Ihr wohl gelesen! Bitte, nicht ärgern drüber!
Dieser Schweinehund, der noch in Frankfurt a/M im Mai 1904 damit renommierte, daß er mich entdeckt habe, der noch am 7. März a.c. so unglaublich freundlich zu mir war, ist es wirklich nicht wert; ein Herr wie Herr Otto Leßmann, der sein Haus dadurch entweihte, daß er, obwohl verheiratet u. Familienvater, seine Dienstmädchen nicht in Ruhe ließ, der wegen Notzuchtsversuch hart am Gerichte vorbei kam, dieser Herr steht durch seine neueste erbärmliche Falschheit so tief moralisch u. musikalisch unter Euch u. unter mir, daß es sich nicht verlohnt, sich darüber aufzuregen! – Ich habe an Frau Wolff sofort einen entsprechenden Brief geschrieben, welcher Brief, vollkommen ruhig u. nur sachlich gehalten, der Frau Wolff beweisen wird u. muß, welche unglaubliche Infamie u. Gemeinheit diese Kritk des Herrn O. L. ist; mein Brief war sehr diplomatisch, doch so schlagend, daß die Dame nicht umhin kann, ihrer Meinung freien Ausdruck zu verleihen; abgesehen davon, daß Leßmann mit dieser Kritik in den Augen sehr, sehr vieler tüchtiger deutscher Musiker seinen wohl unfreiwilligen Bankerott als Kritiker erklärt hat! Daß diese Infamie u. Gemeinheit des Herrn O. L. sattsam bekannt wird, dafür werde ich schon sorgen – u. wer die moralische Einbuße hat, das ist Herr O. L., denn ich werde die Sache schon in einer entsprechenden Weise rumbringen! Es ist nur eben gut, daß ich soweit durch bin, daß solche Gemeinheiten einfach nicht mehr im Stande sind, meinen Weg nur im Geringensten aufzuhalten!
Aus diesem Grunde könnt Ihr u. ich über diese Gemeinheit lachen – aber feste merken und nicht vergessen! Es wird sich sicher über kurz oder lang doch die Gelegenheit finden, diesem Herrn eine gründliche Sache einzubrocken, u. das soll gründlichst geschehen! Übrigens ist seine Gemeinheit so dumm abgefaßt, daß er damit nur Reklame für mich macht; dieser Ansicht ist auch Frau Pauline v. Erdmannsdörfer-Fichtner, mit der ich heute über diese Sache sprach! Wir – d.h. Ihr u. ich – wissen nun, was wir von diesem Schweinehund zu halten haben! Und das ist auch was wert!
Wenn ich nicht fürchten müßte, daß ich meinen hochehrwürdigen Hintern zu sehr beleidigen würde, würde ich Herrn Otto Leßmann bitten, mich im ..... zu lecken! So, das wäre sanft, nobel u. milde erledigt!
Aber unendlich humorvoll ist es, wenn solch ein Hund wie Herr O. L. denkt, meine Carriere als Komponist aufhalten zu können – wo doch schon eine große Reihe der bedeutendsten u. tüchtigsten deutschen Musiker ganz u. gar zu meinen Gunsten stehen!
Nun genug; wer sich mit Dreck abgibt, besudelt sich –; mein Brief an Frau Wolff wird schon alles sehr gut machen!
Also nächsten Montag (20. III.) nachts 10 40 Uhr fahre ich nach Barmen (Regerabend am 22.) am 24. ist Regerabend in Frankfurt a/M. Am 25. III abends 11 Uhr bin ich wieder in München; es würde mich riesig freuen, dann am 25. III. bei meiner Rückkunft einen Brief von Euch sicher vorzufinden! Bitte, vergeßt das nicht!
Generalmusikdirektor W. Kes, der mich auf seiner Reise nach Rom hier auf der Durchreise besuchte, u. dem ich meine Symphonietta [op. 90] vorspielte, war sehr, sehr, sehr angethan von dem Werke!
Nun nochmals eine Bitte: das Defizit des Konzertes am 4. März zu Leipzig wird in Anbetracht des Honorars von 200 M an Wald. Meyer so gegen 140 M betragen; ich bitte Euch darum, daß wir uns darein theilen; bitte, sendet mir also 7 Monate lang 10 Mark weniger, so daß also Ende März nicht 400 M, sondern 390 M fällig wären! (Deshalb: 400 M resp. 390 M da Ende März, Juni, September, December immer je 400 – sonst 300 M – also so dann 4000 M!) (4 x 400=16008 x 300=24004000 M)
So haben wir ja die Sendung der 4000 M vereinbart!
Wenn ich dann von Frankfurt a/M zurückkomme, (am 25.) gehe ich gleich über die Violinsonate op 84 druckfertig zu machen; Ihr erhaltet dann das Werk umgehend; Simrock will es immer noch haben –;1 ich mache Euch betreff des Honorars für op 84 den Vorschlag: 600 M; da Ihr immer so freundlich, liebenswürdig, stets hilfsbereit etc zu mir gewesen seid u. unser so schönes Verhältnis für immer bestehen soll, so werde ich Euch trotz noch so großer künstlerischer Erfolge, niemals überteuern in meinen Honorarvorschlägen; u. deshalb schlage ich Euch 600 M für op 84 vor u. hoffe sehr, daß Ihr damit einverstanden seid – bitte, bitte, schreibt mir darüber in Eurem nächsten Briefe, den ich am 25. III. sicher vorzufinden hoffe bei meiner Rückkehr!
Sodann erhaltet Ihr dieses Jahr noch die Sinfonietta [op. 90], die leichten Klaviersonaten [op. 89], einen neuen Band „Schlichte Weisen“ [op. 76 Bd. II], – dann Lieder für die Mysz–Gmeiner!!!!,1 dann Choralcantate (zum Osterfest!)
Zöllner schrieb mir einen „liebeglühenden“ Brief, daß er alles unterschreibt, was Segnitz über mich geschrieben hat, u. lädt mich zur Mitarbeiterschaft am Leipziger Tageblatt ein, was er sich sehr zur hohen Ehre rechnen würde, wenn ich da Mitarbeiter würde; das Blatt stünde mir immer offen! Donnerwetter – es ändern sich die Zeiten doch ganz enorm!
In Basel u. Zürich haben sie mein Op 74 nun auf allgemeines Verlangen wiederholt, es soll, wie Andr[e]ae mir schreibt, ein Bombenerfolg nach jedem Satz gewesen sein! (O Leßmann!) Ich glaube, daß Schuch (Dresden) sicher auch meine Sinfonietta [op. 90] macht!
Wegen meiner „schwefelpfuhligen“ (siehe Leßmann) Persönlichkeit, so hoffe ich Euch in baldiger Zeit eine Nachricht geben zu können, die so ist, daß Ihr sehr, sehr, sehr erstaunt sein werdet! Wenn das zu Stande kommt was da schwebt, so wäre ja das ein enormer Sieg meiner Sache für München!
Wenn ich von Frankfurt a/M am 25. nach Hause komme, so sende ich Euch alsbald eine große Anzahl von glänzenden Kritiken! Selbst Krebs schrieb im „Tag“ über op 81 u. 86 glänzend!3 (O. Leßmann!!!)
Und nun seid nicht böse, wenn ich erst jetzt Euch beiden, meine Lieben u. besonders Frau Lauterbach unseren herzlichsten u. allerwärmsten Dank sage für so viel, so viel Freundlichkeit, Liebenswürdigkeit während unseres Aufenthaltes in Leipzig; bitte, bitte, dispensiert mich ausnahmsweise von einem extra–Brief – unsere Dankbarkeit ist deswegen gewiß nicht geringer – aber ich bin so, so fürchterlich mit Arbeiten überlastet; außerdem – 14 Tage weggewesen – natürlich eine schauerliche Correspondenz! Also allerherzlichsten Dank!
Bitte, sendet mir doch 5 Exemplare der Kritik von Segnitz über Concert am 4. März im Leipziger Tageblatt! Bitte, nicht vergessen!
Nun muß ich Schluß machen; morgen/Sonntag schreibe ich weiter; auf neuem Bogen; halt; heute hab’ ich neue Wohnung gemietet; ich muß der Akademie wegen in ein Stadtviertel ziehen wo ich direkte Trambahn nach der Akademie habe; nun ist es mir gelungen, in der Viktor Scheffelstraße (in Schwabing) eine reizende, äußerst ruhig gelegene Wohnung von 8 Zimmern zu erhalten zu fabelhaft billigem Preis in neuem Hause, alles gut u. modern eingerichtet! Ich werde wohl balde einziehen; nun Adieu bis morgen!

Sonntag 19. III.
Vor Allem, Euch beiden u. Frau Lauterbach meinen schönsten Dank für Eure lieben, lieben Briefe! Ich hab’ mich sehr, sehr gefreut, daß Ihr so lieb meiner gedenkt! Mit dem Bilde hast Du mir, mein lieber Lauterbach, aber eine Riesenfreude sondergleichen gemacht; ich liebe gerade den geigenden Eremiten1 so sehr; in meiner neuen Wohnung, die wirklich fabelhaft billig ist, soll das Bild den Ehrenplatz über meinem Schreibtisch erhalten, umrahmt von meinen großen Bildern von Wagner, Liszt, Hugo Wolf, Brahms! Also viel, viel, viel allerherzlichsten Dank!
Das was Ihr schreibt, daß ich der alte Max R. bleiben soll – na, da brauche ich Euch doch weiter nichts zu versichern; Ihr wißt es doch selbst, daß ich Euch gegenüber stets so bleiben werde, wie bisher! Ich glaube, daß ich es nicht nötig habe, Euch noch „große Worte“ zu schreiben – wir wissen, wie wir miteinander stehen u. dieses so schöne Verhältnis soll immer bestehen; ich werde stets das Meinige dazu beitragen, daß es immer so bleibt!
Also: tausendfachen herzlichsten Dank für Alles!
Ries u. Erler wollen eine Harmonielehre von mir! Ja, Pustekuchen! Ich werde 6000 M für die 1. Auflage, für jede weitere Auflage 2000 M fordern; auf diese Weise zerschlägt sich die Sache wegen des Honorars – – denn: wenn ich überhaupt eine Harmonielehre schreibe, so erhaltet Ihr dieselbe! Das ist mal einfach eine ausgemachte Thatsache!
Daß die Sache mit dem Pferde endlich in Ordnung ist, freut mich sehr; nun bist Du endlich aus den Aufregungen heraus, mein lieber Lauterbach u. kannst Dich ja jetzt in Stillerbach umtaufen lassen! Bitte, sehr um Verzeihung wegen dieses entsetzlichen Kalauers!
Wir verleben meinen Geburtstag sehr ruhig; es kommt niemand zu uns, da ich zu sehr mit Arbeiten überladen bin; morgen (20.) muß ich wieder fort! Mein Brief an Frau Wolff betr der Leßmann Kritik hat das erzielt, was ich wollte; gerade sendet sie mir eine entsprechende Depesche!
Anbei sende ich Euch auch den Brief von Zöllner, welcher Brief ja ein ganz interessantes Dokument ist; bitte, sendet mir denselben zurück; ich möchte denselben aufheben; vielleicht ergibt sich Gelegenheit denselben mal in Verwendung bringen zu können, wenn Herrn Zöllner’s Denkungsart sich „geändert“ hat!
Nun nochmals meinen allerwärmsten, allerherzlichsten Dank für all Eure so guten, schönen u. freundlichen Wünsche, besonderen Dank für den „geigenden Eremiten“, den ich noch oft in Musik zu setzen hoffe,2 ebensolche herzlichsten Grüße Euch beiden, meine Lieben, Frau Lauterbach, den Kinderchen von Onkel u. Tante Reger
stets Euer treulichster
Max Reger.

Ich habe heute noch gegen 20 Briefe zu schreiben! Am 2. April ist nochmals Regerabend in Dresden (mit Straube)
Ich muß morgen (20.) hier u. a. wieder 2 Präludien u. Fugen aus Wohltemperiertem Klavier (II. Teil) spielen, hatte noch keine Zeit überhaupt zum Durchspielen! So geht’s immer.
Adieu! Euch Allen meinen herzlichsten, wärmsten u. schönsten Dank! Ebensolche Grüße! Von Frankfurt aus schreibe ich Euch!


1
Die Vier Gesänge op. 88 erschienen jedoch dann im Verlag N. Simrock.
2
Siehe Vier Tondichtungen nach Arnold Böcklin op. 128.
Object reference

Max Reger to Carl Lauterbach und Max Kuhn, Lauterbach & Kuhn, München, 18.–19. March 1905, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01008562.html, version 3.1.0, 23rd December 2024.

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