Hugo Wolf
Dedicatee
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1.
Regers intensive Beschäftigung mit Liedern von Hugo Wolf geht wohl auf seine Wiesbadener Zeit zurück. Als Karl Hallwachs, damals Korrepetitor am Wiesbadener Hoftheater, Reger im Herbst 1897 in der Musikalienhandlung Schellenberg erstmals begegnete, fand er ihn am Klavier in die Lieder Wolfs vertieft: “Reger interessierte sich lebhaft dafür, wie ich zu Hugo Wolf gekommen sei. […] Als Reger hörte, daß ich […] einer der allerersten war, der in der Öffentlichkeit auf Hugo Wolf aufmerksam machte1, stieg seine Achtung doch etwas höher, und er sagte, grimmig lachend: „Da scheinen Sie doch nicht so ein musikalisches Rindvieh zu sein, wie ich glaubte.“ Hugo Wolf war für Reger gewissermaßen der Vollender Schuberts. Die geistlichen Lieder des „Spanischen Liederbuchs“ und die Lieder aus dem „Italienischen Liederbuch“, die er damals noch nicht so genau kannte wie ich, wurden für ihn schließlich zu Hugo Wolfs bedeutendsten Schöpfungen.” (Meine Erinnerungen an Max Reger) Ähnlich wie im Fall von Johann Sebastian Bach, erschloss sich Reger die Werke Wolfs sowohl als Interpret am Klavier als auch als Bearbeiter, also durch das “schöpferische Nachvollziehen”, das es ihm erlaubte, “dem Vorbild in die Karten zu schauen und zugleich im Spiegel des Fremden das Eigene zu erkennen.”2 Nach seinem Umzug nach München im September 1901 etablierte sich Reger in Liederabenden als Klavierbegleiter, der neben eigenen Kompositionen insbesondere auch Lieder Wolfs auf die Programme setzte. Dabei beschränkte sich Reger nicht auf eine bewährte Auswahl, sondern erweiterte sein Wolf-Repertoire kontinuerlich.3 Im Winter 1902/1903 begann seine Bearbeiter-Tätigkeit im Dienste Wolfs mit der Übertragung von Klavierliedern für Singstimme und Orgel. So sollten einerseits Geistliche Gesänge aus dem Spanischen Liederbuch sowie einige Mörike-Lieder (RWV Wolf-B1 und -B2) für Kirchenkonzerte nutzbar gemacht sowie durch die Klangsphäre der Orgel mit der “Aura des Heiligen”Note: Ebda., S. 8. versehen werden.
Als Regers neue Hauptverleger Lauterbach & Kuhn nach Wolfs Tod im Februar 1903 Teile von dessen musikalischem Nachlass erwarben, übernahm der durch seine Kompositions- und Konzerttätigkeit eigentlich voll ausgelastete Reger zeitraubende editorische Arbeiten, die ihn bis in den Herbst 1904 fast durchgängig beschäftigten. Im Falle der Partitur der Symphonischen Dichtung Penthesilea und des Streichquartetts d-moll (Wolf-H1 und -H2) verblieb die Herausgeberschaft bei dem Wiener Komponisten und Dirigenten Joseph Hellmesberger jun. (Reger wird im Erstdruck nicht einmal genannt), beim Hymnus Christnacht (Wolf-H3) teilte sich Reger diese mit Ferdinand Foll, die Edition der Italienischen Serenade (Wolf-H4) wurde von Reger allein verantwortet. Die philologische Detailarbeit übernahm er mit großer Akribie, zumal er die Herangehensweise der “Herren in Wien” als “zu sehr „genial“ d.h. in diesem Fall unordentlich” empfand. (Brief vom 20. Juli 1903 an Lauterbach & Kuhn) Seinen Verlegern klagte er, in der Partitur der Penthesilea “gegen 400 Schreibfehler” (Brief vom 17. Juli 1903) verbessern zu müssen, “daß es wohl nicht gut möglich ist, von einer Herausgabe der Part. durch Hellmesberger zu reden.” (Postkarte vom 3. April 1904)
Weitere eigene Bearbeitungen entstanden im zeitlichen und auch inhaltlichen Zusammenhang mit den editorischen Aufgaben: Im Mai bzw. Juli 1903 übertrug Reger Sechs geistliche Lieder nach Gedichten von Eichendorff für Männerchor (Wolf-B3) sowie die Penthesilea für Klavier vierhändig (Wolf-B4). Im Januar und Sommer 1904 kamen die vierhändige Klavierfassung der Italienischen Serenade (Wolf-B5) und die Klaviertranskription von zwölf Mörike-Liedern (Wolf-B6) hinzu; im August 1914 schließlich orchestrierte Reger vier Wolf-Lieder (Wolf-B7). Anders als im Falle der Bach-Bearbeitungen stehen Regers Wolf-Adaptionen kaum im Kontext seiner eigenen Tätigkeit als Interpret. Im Dezember 1905 dirigierte er mit dem Münchner Porges-Verein die Christnacht, in seiner Zeit als Meininger Hofkapellmeister ab 1911 kamen jedoch keine weiteren Aufführungen von Werken Wolfs hinzu.4
Umso stärker ist Regers Bearbeitertätigkeit mit seinem eigenen kompositorischen Schaffen verknüpft: So entwickelt sich “der Serenadengedanke, der Regers beide ersten sinfonischen Werke [Opera 90 und 95] prägt”5 durch die Beschäftigung mit der Italienischen Serenade. Die eigenen Männerchöre stehen im Zusammenhang mit den entsprechenden Übertragungen der Eichendorff-Lieder, und das Streichquartett d-moll op. 74 zeugt von der Auseinandersetzung mit dem tonartgleichen Werk Wolfs.6 Eine schöpferische Orientierung an Wolf, die sowohl Impulse für das eigene Schaffen gab als auch – im Kontrast zum Vorbild – zu betonter Eigenständigkeit bzw. Eigenart motivierte, zeigte sich insbesondere in den Parallelvertonungen bei Liedern. “Habe gestern einen Text komponiert‚ den auch Hugo Wolf komponiert hat! „Majestätsverbrechen“ nicht wahr!”, lässt Reger Ende Januar 1902 den Musikkritiker Theodor Kroyer wissen (Brief), bezugnehmend auf den Mörike-Text Begegnung, vertont als Opus 62 Nr. 13. Ähnlich wie in Bezug auf Richard Strauss dienen Reger auch bei Wolf die drei Doppelvertonungen dazu, in wertschätzende Konkurrenz zu treten.7. Nach Begegnung folgten Der König bei der Krönung op. 70 Nr. 2, In der Frühe WoO VII/41, Er ist’s (für Frauenchor) op. 111b Nr. 3. Sie wirken durch ihre “musikalische Prosa”8, die Reger bereits in den langsamen Sätzen seiner Kammermusik erprobt hatte, wie eine antithetische Antwort auf Wolfs sprachgezeugte Melodielinien. Albert Fuchs, Konservatoriumsleiter zu Regers Wiesbadener Studienzeit, schrieb 1902: “Neben dem natürlichen, noch mit verhältnismäßig einfachen Mitteln gearbeiteten Liede Hugo Wolf’s nehmen sich Max Reger’s Gesänge aus, wie etwa die Berlioz’sche „Damnation de Faust“ neben Haydn’s „Jahreszeiten“.”9 Reger selbst gab später preis: “Früher habe ich gemeint, ich müsse Wolf übertrumpfen. Heute bin ich zu der Erkenntnis gekommen, daß keiner den Stil des anderen übernehmen und fortsetzen dürfe. Ein Jeder muß eben auf seine Weise sagen, was er zu sagen hat.”10
Es scheint kaum zufällig, dass Reger mit den im August 1900 entstandenen Zwölf Liedern op. 51 eine seiner klanglich herausforderndsten Liedersammlungen Hugo Wolf gewidmet hat. In den Jahren ab 1901, in denen er sich im Musikzentrum München als Außenseiter behaupten musste, identifizierte er sich in hohem Maß mit der zu Lebzeiten verkannten und früh verstorbenen Künstlerpersönlichkeit. Seine an den Zeitungsredakteur Paul Nikolaus Coßmann gerichtete Mitteilung, in der “„Wolfsgrube“ Preysingstr.1” (Brief vom 3. Dezember 1903) zu hausen, ist programmatisch zu lesen: Regers Bekenntnisse zu Wolf, dessen Portraitfotografie im Januar 1904 einen Platz auf dem Stehpult bekam (siehe Brief vom 7. Januar 1904 an Lauterbach & Kuhn), sind immer auch Selbstbekenntnisse. Genährt wurde diese Identifikation durch eine gewisse Parallelität der Ereignisse: Denn als Hugo Wolf im Herbst 1897 in die Svetlinische Heilanstalt verbracht wurde – ein Jahr später folgte nach dem Selbstmordversuch die endgültige Unterbringung in der Landesirrenanstalt in Wien –, befand sich Reger nach seinem einjährig-freiwilligen Militärjahr 1896/1897 selbst in einer schweren physischen und psychischen Krise, aus der er sich erst durch seinen Rückzug nach Weiden 1898 nach und nach befreien konnte. Regers durch künstlerisches Engagement gelebte “Erinnerungskultur”11 im Dienste Wolfs war somit auch Dienst an der eigenen Sache, und seine künstlerische Bezugnahme auf das Werk des – nach seinem Tod – anerkannten Komponisten, diente ihm auch als “Schutzschild”12 gegen kritische Angriffe auf seine eigenen Kompositionen: “Und doch: mag geschimpft werden, mag gehetzt werden – ich gehe meinen Weg! Und das Vergnügen, dass ich mich morden lasse wie Hugo Wolf, den die Mitwelt gemordet hat – das Vergnügen mache ich den Herren noch lange, lange nicht – nun gerade erst recht!” (Brief vom 19. März 1903 an Walter Fischer)
Regers Identifikation kumulierte in seinem Aufsatz Hugo Wolfs künstlerischer Nachlass, der im April 1904 in den kurz zuvor gegründeten Süddeutschen Monatsheften erschien und seine Beiträge als Wolf-Editor und -Bearbeiter publizistisch begleitete. Reger geht darin heftig mit der musikalischen Öffentlichkeit ins Gericht, der das Totschweigen des Komponisten zu dessen Lebzeiten ebenso zum Vorwurf gemacht wird wie die posthume Würdigung, die er für ein bloße Modeerscheinung hält (“Hugo Wolf, der nie um die Gunst des Volkes, um die Anerkennung seiner Zeitgenossen buhlte, ist Mode geworden!”). Zugleich liefert er – eine Seltenheit bei Reger – auch analytische Betrachtungen zu von ihm editorisch begutachteten bzw. bearbeiteten Werken sowie eine kritische Beleuchtung von Wolfs Jugendwerken, die er mit den auch für das eigene Werk geltenden Maßstäben einer kontinuierlichen Selbstverbesserung beurteilt. “Man fühlt, was der Komponist wollte und nicht erreichte, weil ihm das rein technische Können fehlte”, schreibt er über das Streichquartett. Die Redakteure der Zeitschrift, Josef Hofmiller und Paul Nikolaus Coßmann, haben Regers Text für die Druckfassung gegenüber dem Original sprachlich geglättet und stellenweise gekürzt. Unter anderem entfiel eine zentrale Passage, die Regers eigene Motivation und die eigene Angst vor dem Vergessenwerden als Komponisten spiegelt: “Hoffen wir, daß das deutsche Volk (vorab der deutsche Musiker) nun mit unermüdlichem Eifer bestrebt sein wird, all die trostlosen, bitteren Stunden, all das unsägliche Unrecht, womit Hugo Wolfs dornenvoller Lebensweg so erbaulich bekränzt war, endlich an den Manen des unglücklichen Tondichters in überreichem Maße wieder gut zu machen”.
Object reference
Hugo Wolf, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_pers_00029.html, version 3.1.0-rc3, 20th December 2024.
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