München, 5.–8. January 1903
Max Reger to Carl Lauterbach und Max Kuhn, Lauterbach & Kuhn
Berlin,
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz,
Musikabteilung,
Mus.ep. Max Reger 130
- Max Reger
Meine sehr verehrten Herren!
Zuerst muß ich Sie, sehr geehrter Herr Lauterbach […]
Max Reger, Briefe an die Verleger Lauterbach & Kuhn. Teil 1 [1902–05], hrsg. von Susanne Popp, Bonn 1993 (= Veröffentlichungen des Max-Reger-Instituts, Bd. 12), S. 70–74
1.
München, 8
Wörthstraße 20 I
Montag, 5. Jan. 1903
abends 12 Uhr.
Meine sehr verehrten Herren!
Zuerst muß ich Sie, sehr geehrter Herr Lauterbach sehr dringendst um Entschuldigung bitten, daß ich Ihren kleinen Neujahrsbrief bisher noch nicht beantwortete – aber eben Mangel, wirklicher Mangel an Zeit!
Nun war auch Herr [Ludwig] Heß bei mir u. haben wir das Programm so zusammen gesetzt, daß es möglichst wirksam ist! Er singt 8 Lieder, die bei Ihnen erschienen sind u. 8, die bei Aibl erschienen sind. (Darunter eines (Des Durstes Erklärung „urfidel“ aus dem soeben entstehenden op 70 (17 Gesänge mit nur wundervollen Texten)
Nun muß ich sogleich mit einer Bitte kommen: nachdem Sie einverstanden sind, daß Sie mir solange von den 4000 M (4000 – 3600 = 400) 400 M pro Jahr abziehen, bis die sämmtlichen Kosten der Liederabende Heß, Bergen, Dessoir gedeckt sind, bitte ich Sie nicht 100 M zu dem am 13. Jan. hier stattfindenden Liederabend Dessoir, sondern 150 M mir frdl. mir bis zum 11. Jan. mir zusenden zu wollen – denn Frau Dessoir gibt den Liederabend doch meinetwegen, hat Reise u. Aufenthalt in München, bekommt kein Honorar – also finde ich es als Pflicht da nicht 100 M, sondern 150 M beizusteuern, u. die 50 M sind ja so gering, daß dieselben in der Verrechnung an den jährlich abgezogenen 400 M keine Rolle spielen!
Haben Sie daher die Freundlichkeit mir 150 M freundl. bis 11. Jan. zu senden – alles alles dann peu à peu jährlich 400 M abziehen, bis sämmtliche Kosten gedeckt sind. Nicht wahr, Sie sind damit einverstanden! Verbindlichsten Dank im Voraus!
Anbei finden Sie nun eine Masse Kritiken über den Liederabend Loritz am 28. Dec; nebst über 30.; ich bin sehr erstaunt, nachdem Schillings durch gesellschaftliche Verbindungen etc hier diesen einfach unglaublichen Einfluß hat, daß meine Lieder doch so eingeschlagen haben! Die Kritiken können Sie alle behalten; einige sind noch ausständig, die ich Ihnen sofort sende sobald ich sie habe!
Natürlich zeigt sich nun wieder das, daß die Herren Kritiker mit meiner Musik nichts so rechtes anzufangen wissen – die Lieder springen den Herren zu sehr direkt in die „Visage“, was besonders deshalb so fatal für die Herren ist, weil sie sich so an Schillings’ „militärfromme“ Musik gewöhnt haben! Trotzdem bin ich gerade hier, wo Thuille ja geradezu Feuer schreit gegen mich, seit einem Jahre um ein enormes Stück weiter gekommen.
Die ebenfalls beiliegende Zeitung aus Dessau wird Sie amüsieren.
In allernächster Zeit wird der einzig wirkliche tief musikalisch gebildete Kritiker von München, Dr Th Kroyer, in der Allgemeinen Zeitung einige Spezialregerartikel über mich bringen! Der Herr schreibt außerdem für die „Signale“ u. die „Musik“.
Denken Sie an, heute sandte Stavenhagen zu mir, er wäre verhindert am 11. u. 12. Jan. mit seiner Frau in Landau u. Germersheim zu concertieren, ob ich nicht für ihn einspringen wollte; ich mußte leider wegen des Concertes Dessoir ablehnen!
Jeden Abend sitze ich nun fleißigst an der 2. Bach–cantate [RWV Bach-H2] u. schlägt es immer 12 Uhr, bis ich aufhöre zu arbeiten! Aber ich fühle mich ja körperlich so sehr wohl!
In der Neuen Zeitschrift für Musik werden wir sehr bald sehr gute Kritik über op 66 erhalten!
Passen Sie auf: op 67, die Choralvorspiele schlagen durch! Nur bitte ich im Interesse einer weiten Verbreitung den Preis von op 67 lieber etwas niedriger zu stellen, was durch den vielen Verkauf dann doch schnellstens „wett“gemacht wird!
Morgen früh werde ich wohl Brief von Ihnen erhalten, den ich dann sofort beantworten werde! Also einstweilen Adieu! Gute Nacht; ich bin müde u. habe um 8 Uhr früh schon wieder Arbeit! Apropos: einen wundervollen Text für ein circa ½ Stunde dauerndes Chorwerk mit Orchester [Gesang der Verklärten op. 71] habe ich entdeckt! Adieu!
Dienstag 6. abends!
Heute kam leider kein Brief; ich wartete den ganzen Tag; morgen wird wohl einer kommen, den ich dann sogleich anschließend an diesen beantworten werde.
Passen Sie auf: das Lied „Engelwacht“ aus op 68 bringt Ihnen so ein kleines Vermögen; es ist weder für Sänger noch Begleiter schwer – ganz leicht, und wie Herr Hess sagt, das schönste Wiegenlied, das überhaupt existiert. Herr Heß wird es in Leipzig u. Berlin als letzte No des Abends singen; Bergen singt Unterwegs (op 68) u. Eine Seele. (op 68) Ich werde Frau Walter–Choinanus an Engelwacht „hetzen“, ebenso Frau Lula Mysz–Gmeiner, welche beiden Damen das Lied wohl in der Welt „rumbringen“ werden!
Von meinen neuen 17 Gesängen [op. 70], welche Sie erhalten, sobald selbe völlig druckreif sind, ist ein Text schöner als der andere.
Nun zu Ihnen, verehrter Herr Dr Kuhn! Sie werden nun aus England glücklich zurückgekehrt sein u. brauche ich ja wohl Sie gar nicht zu fragen, wie es Ihnen in England gefallen hat! Ich kann mir denken u. lebhaftestens vorstellen, daß Sie im siebenten Himmel waren, u. wünschen meine Frau und ich nur herzlichst, daß Ihre Ehe ebenso schrankenlos glücklich werden möchte als unsere. Bitte, wenn Sie wieder an Ihre sehr verehrte Fräulein Braut schreiben, was wohl sehr balde geschehen wird, dann uns bestens empfehlen zu wollen.
Die Daten der Concerte sind folgende:
27. Februar Hess 2. März Hess 3. März Bergen 4. März Straube – Orgel! |
Leipzig Berlin Leipzig |
Lieder Lieder Lieder |
Nun Adieu bis morgen! Hoffentlich kommt morgen Brief von Ihnen! Es ist schon wieder 12 Uhr! Adieu.
Mittwoch abend!
Nun kam heute wieder kein Brief von Ihnen! Ich sorge mich schon, ob Sie vielleicht unwohl sind!
Soeben geht mir durch den Kopf: Herr Arthur Smolian (Königstraße 6) ist Kritiker an der königlichen Leipziger Zeitung u. schrieb mir, daß er sich für meine neuen Sachen sehr interessierte! Wäre es nun im Interesse der Liederabende im Februar u. März nicht gut, wenn Sie ihm op 66 u. 68 complett senden würden? Herr S. würde sich die Lieder sicher genau ansehen – u. da er – entre nous gesagt – von mir sehr [viel] hält, käme er nicht „unvorbereitet“ in die Liederabende, was nachher seinen Kritiken über die Liederabende nur zu gute käme! Und gute Kritiken sind viel, viel wert! Ich stelle die Sachen Ihnen anheim! Bitte schreiben Sie mir darüber!
Hoffentlich kommt morgen (Donnerstag) endlich Brief von Ihnen; wenn keiner kommt, dann sende ich doch diesen Brief ab an Sie!
Nun Adieu bis morgen mittag. Die Bachcantate No 2 [RWV Bach-H2] macht sehr, sehr viel Arbeit; doch erhalten Sie selbe sehr balde; ich arbeite jeden Abend bis 12 Uhr daran.
Gute Nacht!
Donnerstag vormittags 12 Uhr.
Leider kam heute wieder kein Brief von Ihnen! Soeben erhalte ich „Organum“ No 7 u. bitte ich Sie den Artikel „Nach Sonnenaufgang“ zu lesen u. die No zu behalten!
Heute früh erhielt ich Brief von Herrn Straube, worin er mittheilt, daß Sie, meine sehr verehrten Herren, die „Pedalschule“ für Orgel [RWV Anhang B10], die Herr Straube u. ich den Herren Hug & Co versprochen haben, gerne haben möchten! Nun – à discretion: ich versuche selbstredend, die Sache so zu deichseln, daß wir den Herren Hug die Pedalschule entreißen können und Sie dieselbe erhalten! Aber silentium einstweilen!
Nicht wahr mit der Sendung der 150 M bis 11. Jan. zum Concert Dessoir sind Sie einverstanden? Sie verstehen doch: solange 400 M pro Jahr an den 4000 M pro Jahr abziehen, bis sämmtliche Kosten der Liederabende Hess, Bergen, Dessoir vollständig gedeckt sind.
Am 4. Februar singt Bergen in einem Konzert des Oratorienvereines zu Augsburg 4 Hugo Wolf u. 4 Max Reger; selbstredend: 2 mindestens von den bei Ihnen erschienen!
Nun wirds allmählich Zeit zum Schließen.
Ich bitte nochmals besonders Sie, sehr geehrter Herr Lauterbach sehr um freundliche Entschuldigung, wenn ich erst heute schreibe – aber wie Sie sehen – ich wartete immer u. immer auf Ihren Brief; also nicht zürnen wegen meiner nur vermeintlichen Unhöflichkeit; bitte, schreiben Sie mir ja recht balde wieder!
Der Artikel in Organum (Seite 39, 40, 41) ist von Walter Fischer, einem sehr strebsamen jungen Berliner Organisten, der mit Otto Becker, einem ausgezeichneten Organisten, Lehrer an der Hochschule für Musik, für mich durchs Feuer geht!
Für heute wüßte ich nun nichts mehr! Die neuen 17 Gesänge [op. 70] reifen u. reifen; ich habe wundervolle Texte dazu!
Apropos: würde es sich nicht empfehlen von op 68 No 4 „Engelwacht“ gelegentlich eine tiefere Ausgabe für Alt herstellen zu lassen; ich warte nur noch ab, welche Tonarten den Damen Walter-Choinanus u. Mysz–Gmeiner am besten liegen – dann ists Zeit dazu!
Nun allerschönste Grüße an Sie meine beiden, verehrten Herren, an die sehr verehrten Angehörigen des Herrn Lauterbach von meiner Frau und mir
Ihr herzlichst ergebenster
Max Reger.
[Zusatz mit Bleistift:]
Anbei 8 Kritiken
Organum No 7 u. „Programmbüchlein“
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Max Reger to Carl Lauterbach und Max Kuhn, Lauterbach & Kuhn, München, 5.–8. January 1903, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01005258.html, last check: 24th November 2024.
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