München, 8th December 1902

Max Reger to Karl Straube

Object type
Letter
Date
8th December 1902 (source)
Sent location
München
Source location
missing

Only known from: Transcript, Max-Reger-Institut/Elsa-Reger-Stiftung, Karlsruhe | Ep. As. 3828


Senders
  • Max Reger
Recipients

Incipit
Liebster Carl!
Gestern abend bei unserer Rückkunft von Bad Boll bei Göppingen […]

Regesta
dankt für Brief • erzählt von seiner Trauung, die nach Schwierigkeiten mit der evangelischen Kirche in Bayern, schließlich am 7. Dezember im württembergischen Bad Boll stattgefunden habe • bekundet: »nun hat kein Mensch mehr das recht unsere Ehe mit scheelen Augen anzusehen!« • rät dem E. von einem Orgelkonzert in München ab • berichtet, wegen eines Regerorgelkonzerts bald an [Max] Schillings und [Richard] Strauss schreiben zu wollen • bittet den E., auch an beide zu schreiben • legt einen Brief [Ludwig] Thuilles bei und bittet, diesen nach Durchsicht zurücksenden • mokiert sich über Thuilles Bemerkung, »man müßte Blut schwitzen, bis man überhaupt meine Harmonien entziffert hätte!« • lästert über die ganze Gruppe um Schillings, Thuille (»alles so aus Guntram letzten 4 Seiten gestohlen!«) • beklagt sich bitter über den Opportunismus des Kritikers [Rudolf] Louis und lobt hingegen [Theodor] Kroyer • befürchtet scharfe Kritik von Schillings etc. zu seinem [Klavier]quintett op. 64 (»Denn ich halte Schillings Brief nicht für aufrichtig«) • bedauert, aus politischen Gründen mit Schillings und Richard Strauss »„gut Vetter“« sein zu müssen • beschwört, gegenüber Strauss und Schillings das Orgelkonzert [bei der Tonkünstlerversammlung] in Basel durchzubringen • möchte dort statt op. 40 Nr. 1 [Choralphantasie »Wie schön leucht’t uns der Morgenstern] lieber einige Nummern aus op. 67 [Zweiundfünfzig leicht ausführbare Vorspiele] ins Programm nehmen • empfiehlt [Phantasie und Fuge über] B-A-C-H [op. 46] und - stattdessen - op. 52 Nr. 3 [Choralphantasie »Halleluja! Gott zu loben«] für Berlin • informiert, Weber um ein Konzert für ca. 1. Februar in Augsburg zu bitten • beklagt sich über eine schlechte Kritik von Otto Lessmann (»Lessmann wird eben auch alt!«) sowie über das »Wuthgeheule« der Kritik nach einem Konzert mit seinen Werken in Breslau • dankt dem E., op. 64 [Klavierquintett] bei Heubner empfohlen zu haben • informiert, Carl Wendling für ein Konzert zusagen zu wollen • klagt über Unverständnis gegenüber seinem beiden Streichquartetten op. 54 • erzählt, dass auch Kroyer gegen ein »Vorherrschen der Strauss-Richtung« eingestellt sei • berichtet, dass [Constantin] Sander vom Verlag Leuckart über die immer schlechteren Verkaufszahlen der Opera 60 [Orgelsonate] und 63 [Monologe] • erzählt. Sander geschrieben zu haben, ihm nichts mehr anbieten zu wollen, so lange er nicht zu seinen Werken stehe: »Weißt, die Gesellschaft der Herren Verleger (Dr. Kuhn ausgenommen) möchte unser einen nur zu gerne ganz in die Tasche stecken!« • hofft, dass durch das Wirken des E. in Leipzig »balde ein anderer Ton« zwischen ihm und den Verlegern herrschen werde • drängt auf Übersendung der Materialien für Hug [Pedalschule Anh. B9] sowie auf den Artikel für Die Musik • berichtet, dass ihm [Paul] Gerhardt geschrieben hätte, sich über die Berufung des E. an die Leipziger Thomaskirche nicht zu freuen
Remarks

das Projekt einer Pedalschule (Anh. B 9) wurde schließlich nicht realisiert

Referenced works

Publications

Max Reger, Briefe an Karl Straube, hrsg. von Susanne Popp, Bonn 1986 (= Veröffentlichungen des Max-Reger-Instituts, Bd. 10), S. 34–39

1.

München, Wörthstr. 20I

Liebster Carl!
Gestern abend bei unserer Rückkunft von Bad Boll bei Göppingen in Württemberg fand ich Deinen Brief vor! Viel Dank für denselben! Wie Du ja weißt, hat die so tolle Engherzigkeit der bayerischen evangelischen Kirchenbehörde uns die Trauung verweigert u. wandten wir uns nach Württemberg, wo man uns anstandslos, ohne jede Schwierigkeit traute, was gestern (Sonntag den 7. Dec. [1902]) in der kleinen Dorfkirche zu Bad Boll (Ort bei Göppingen) durch den evang. Pfarrer Wall geschah! Der Welt gegenüber waren wir uns das schuldig; nun hat kein Mensch mehr das Recht unsere Ehe mit scheelen Augen anzusehen! So, nun wäre alles in schönster Ordnung! Meine Frau wirst Du in Augsburg u. Leipzig noch diesen Winter kennenlernen! Meine Frau freut sich sehr Dich zu sehen u. werdet Ihr Euch hoffentlich recht gut vertragen!
Das Münchener Orgelconcert – nein, mein Lieber, das machen wir nicht! Betreff des Regerorgelconcertes werde ich in den allernächsten Tagen an Schillings und Strauss schreiben! Bitte, schreibe Du auch an Strauss! Hast Du an Schillings geschrieben? Apropos: Beiliegender Brief, den ich mir zurückerbitte, wird Dich interessieren! Ich halte diesen Brief nicht für aufrichtig! Thuille sagt ja, man müßte Blut schwitzen, bis man überhaupt meine Harmonien entziffert hätte! Ich halte diesen Ausspruch für sehr sehr traurig; es ist doch sehr betrübend, wenn ein 1. Compositionslehrer an einer klg. Akademie der Tonkunst so was sagt – nicht für mich, sondern für ihn! Aber so recht bezeichnend für die ganze Richtung Schillings-Thuille etc. etc., welche Richtung ja Dr. Louis so als die alleinig richtige hinstellt! Es ist alles so weichlich, so ohne Saft und Kraft, alles so aus Guntram letzten 4 Seiten gestohlen!
Dr. Seidl hat endlich mal in der „Gesellschaft“ den Dr. Louis angepackt, warum Louis in seinen Referaten in den N. Nachrichten so ganz anders schreibt als er z.B. in anderen auswärtigen Blättern schreibt! In seiner notorischen Feigheit ging er so weit, Schillings Vertonung vom Hexenlied bei Gelegenheit der Interpretation durch Possart u. Schillings in den Himmel zu heben in den N. Nachrichten – um nachher in dem Glauben, man lese die Blätter für Haus- u. Kirchenmusik nicht, dieselbe Sache sehr, sehr sehr scharf anzupacken! Und da hat ihn Seidl gefaßt! Was schmiert der Louis über Fritz Neff nicht alles zusammen! Warum? Weil Neff Schüler von Thuille ist! Und: s.Z. hat er sich mir gegenüber u. Loritz in der schärfsten Weise über H. Bischoff ausgesprochen, sich über ihn lustig gemacht – u. nachher geschrieben von „Perlen der modernen deutschen Musik“, Bischoff so quasi als Halbgott geschildert! Du darfst mir glauben, daß sehr, sehr sehr viele hier Louis in derselben Weise betrachten wie ich! Da ist Dr. Kroyer doch wahrhaftig ein ganz anderer!
Wie sich Schillings, Thuille etc. über mein Quintett op. 64 entsetzen werden, das werde ich wohl balde hören! Denn ich halte Schillings Brief nicht für aufrichtig! Im Gegentheile: ich behaupte, er, Thuille u. Louis werden nun nach Kräften in meinem op. 64 suchen u. suchen, was da alles „schlecht“ ist. Die „Politik“ zwingt mich da zum Silentium! Ich bitte Dich ebenfalls um strengstes Silentium! Unser Vorwärtskommen (Deines wie meines) macht es uns zur Pflicht, mit Schillings, Strauss „gut Vetter“ zu sein – allerdings in dem Bewußtsein, daß wir diese unsere „freundwilligen Vettern“ innerlich zum Teufel wünschen!
Die Sache des Orgelconcertes in Basel muß natürlich durchgedrückt werden! Strauss, Schillings werden natürlich einverstanden sein – aber dessen bin ich mir wohl klar: einverstanden nicht aus Interesse für uns beide, sondern mehr aus einer vielleicht ihnen selbst unbewußten Furcht, mit der Ablehnung eine Dummheit zu machen! Sie fürchten, es könnte bekannt werden, daß sie beide der Idee der Orgelconcerte nicht günstig gestimmt waren – und das wäre fatal! Betreff des Programmes der Orgelconcerte möchte ich statt op. 40I (wie schön leuchtet) lieber einige Choralvorspiele aus op. 67 haben! Ist in Berlin BACH [op. 46] auch praktisch? Da wäre op. 52III vielleicht besser! Natürlich Leipzig BACH!
Ich werde an Weber (Augsburg) schreiben u. ihn bitten das Concert in die möglichste Nähe vom 1. Februar zu legen! Apropos. Hast Du in der letzten Nummer der Lessmann-Zeitung die Kritik von O. Lessmann über den Liederabend der S. Dessoir gelesen? Famos! All dieses Gejammere über diese seltsamen, bizarren Harmoniefolgen etc. etc. gehen doch nur auf meine Rechnung! Dabei sang sie als „tollstes“ das „Mädchenlied“ aus op. 51 – alle übrigen Lieder von mir waren mehr „zahmer“ Natur! Lessmann wird eben auch alt! Was sagst Du zu dieser Kritik?
In Breslau spielte O. Becker aus Berlin op. 52II, 27 – na, die Kritiken! E. Bohn u. E. Flügel – übertrafen sich gegenseitig in Wuthgeheule! Besten Dank betr. Einheizung von Heubner betr. 64! Hoffentlich mit Erfolg! An Wendling werde ich bejahend schreiben (gegen Erstattung der Reisekosten)
Schleicher-Bremen ist also mit seinen Quartettisten aus op. 54 (2 Quartette) nicht klug geworden! So – mir „träumt“, es wäre da mangelnde Intelligenz schuld d.h. eben die Unfähigkeit etwas zu verstehen was nicht landläufig!
Apropos: Ich habe gestern abend mit Dr. Kroyer gesprochen; er ist betr. Schillings, Neff etc. etc. genau unserer Ansicht; er hält das Vorherrschen der Strauss-Richtung ebenfalls für kein gutes Ding! Nun Höre! Sander (Leuckart) der mir von anderer Seite als richtiger „Geizhals“ geschildert wurde, schrieb heute an mich wieder eine jener Lamentationskarten, daß die Kauflust betr. op. 60 u. 63 immer geringer würde! etc. etc.! Nun – ich kenne das; das sind nur Sachen, die er mir schreibt, damit sich unsereiner recht klein fühlt und ja nie in seinen Honoraren sich mal was ordentlich zu verlangen getraut! Ich schrieb ihm zurück, daß mir es sehr leid thäte, daß er sich in mir so getäuscht hätte betr. meiner Werke u. ich in Folge dessen ihm nichts mehr zum Verlage anbieten werde bis er nicht selbst zu einem anderen Urtheile betreff meiner künstlerischen Bestrebungen etc. etc. gekommen ist! – Schreib’ mir offen, ob das recht von mir war!
Weißt, die Gesellschaft der Herren Verleger (Dr. Kuhn ausgenommen) möchte unser einen nur zu gerne ganz in die Tasche stecken! Aber ich lasse mir das nicht gefallen! Hab’s auch nicht nötig! mir das bieten zu lassen – umsomehr als ich weiß, welch ein „Filz“ Sander ist, der auf Geld sitzt!

Nun, wenn Du in Leipzig bist, wird im Verhalten der Herren Verleger mir gegenüber balde ein anderer Ton eintreten; denn denke bis dato ist in Leipzig von mir noch nicht ein Ton gesungen u. gespielt worden! Dein Orgelconcert mit nur Reger wird für jeden Fall da Mordsaufsehen machen, ebenso der Liederabend mit Hess u. Bergen!
Nun die Bitte mir doch die Materialien zu Hug ja bis spätestens anfangs Januar zu senden, ferner die dringendste Bitte doch den Artikel für die Musik nicht zu vergessen! Du erweist mir damit einen so großen, großen Gefallen. Apropos: P. Gerhardt schrieb mir eine Karte, aus der hervorgeht, daß er über Deine Berufung an St. Thoma wenig erbaut ist; der Ton seiner Karte war so merkwürdig gequält! Na, Du bist eben da „Hecht“ im Karpfenteich – u. ist es nur freudigst zu begrüßen, wenn dem urfaulen Homeyer mal etwas schwüle wird.

Nun schönste Grüße, lasse balde von Dir hören; schönste Grüße von meiner Frau u. mir an Dich u. Deine Frl. Braut von Deinem Max Reger.

Object reference

Max Reger to Karl Straube, München, 8th December 1902, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01007630.html, version 3.1.0-rc3, 20th December 2024.

Information

This is an object entry from the RWA encyclopaedia. Links and references to other objects within the encyclopaedia are currently not all active. These will be successively activated.