München, 30th May 1902
Max Reger to Elsa Reger
Karlsruhe,
Max-Reger-Institut/Elsa-Reger-Stiftung,
Ep. Ms. 1712
- Max Reger
Mein lieb, süß Mädel!
Viel, viel Dank für Dein’ Brief! Ich beantworte den 1. Theil desselben kurz […]
- Twelve Songs op. 66
- Improvisationen op. 18
1.
Mein lieb, süß Mädel!
Viel, viel Dank für Dein’ Brief! Ich beantworte den 1. Theil desselben kurz: vorerst wisse, auch bei mir vermagst Du mit Liebe alles, Härte macht mich auch trotzig!
Also kurz: Wenn Du meine Frau bist, dann kommt kein Unfriede, weder von Seite Deiner noch meiner Verwandten in unser Haus! Dafür laß’ nur mich sorgen! Bitte, bitte, hab’ da keine Angst! Und daß vor der Ehe keine Verfolgungen kommen, ist sehr leicht dadurch zu erreichen, daß Deine Frau Mama es niemandem mittheilt! Deine Geschwister werden sich schwer hüten Dich als meine Braut u. Frau zu verfolgen; denn ich würde ihnen schon dienen! Also sei darüber endlich beruhigt! Ich helfe Dir schon! Mein Liebling, vertraue Du nur mir! Ich helfe Dir so treu u. fest! Aber, Schatzl, wie kannst Du denn auf den Gedanken kommen, daß ich Dich für anspruchsvoll halte wegen des Mädchens! O, da müßte ich doch engherzig sein! Nein, Du hast ganz recht; ich achte u. ehre Dich viel zu hoch! Also, nicht mehr so von mir denken, gelt mein Mädel! Quäle Dich doch nicht mit so thörichten Gedanken, von wegen weil Du kein Vermögen hast! Kennst Du mich so schlecht, daß Du glaubst das würde mich berühren! O Mädel, Du weißt es halt, immer, immer noch nicht, wie unsagbar lieb ich Dich hab! Aber Liebling, Du bist meine Frau, u. kein Mensch wird es dann wagen Dir ein unfreundliches Wort zu sagen! Von meinen Eltern aus wirst Du nie, nie ein unfreundlich Wort erhalten; denn mein Eltern wissen nur zu gut, wie ich das dann zurückweisen würde! Sei ohne Sorge deshalb!
Anbei eine Rolle; enthaltend 2 x op 18 u 25 für Dich u. Berthel nebst Musikwoche No 20, wo Du Seite 552 + 553 + 554 den Choral [WoO VII/34] mit der Widmung findest (rechts unten die Seiten zählen) beim Choral liegt Programm u Kritik! Aufheben! Selbstredend sende ich Dir noch 2 Exemplare vom Choral a) für Berthel
b) für das Ehepaar
das heutige Exemplar gehört Dir!
Sobald ich meine Autorenexemplare von Musikwoche No 20 habe, sende ich Dir umgehend noch 2 Exemplare! In Washington waren schon 2 Reger-Concerte im April! (Nordamerika) Ich sandte Dir ja das Program1! Aber ich bitte Dich, Schatz: Noten, die ich Dir sende, die kosten nichts! Laß mir doch die Freude, daß ich Dir was schenken kann! Ich sende Dir balde wieder was für den Lehrer! Die 900 M waren Orgelwerk! Die 1100 M sind so, daß ich durch den bewußten „Geniestreich“ des Herrn Otto Spitzweg 700 M bar verdiene ohne Federstrich! Alles mündlich; denn schriftlich ist das zu lang! Alle Außenstände sind bis in 8 Tagen spätestens alle bezahlt, meine Mutter bis 1. Januar 1903 vorausbezahlt, 1200 M sind bar da; 200 M kommen 5 Wochen dazu; was ich jetzt bis 1. Januar an Composition verdiene, kann ich [dreifach unterstrichen:] alles zurücklegen; denn mein Taschengeld, Garderobe etc. verdiene ich mir [dreifach unterstrichen:] gut durch meine Privatstunden, wo sich soeben wieder ein Schüler mit 40 M monatlich gemeldet hat, sodaß ich in den Wintermonaten mindestens 130 M monatlich an Stunden allein verdiene! Im Sommer sinds 30 M weniger, aber das brauchen wir ja gar nicht, denn ich verdiene durch Composition ja [dreifach unterstrichen:] genügend, viel mehr als genügend u. steigt ja das immer! Schon wieder ein neuer Verlagsantrag,2 den ich auf nächstes Jahr, wenn wir verheiratet sind, verschoben habe! Gelt, das ist fein! Du sollst ohne solche Sorgen bei mir es so rasend gut haben! Ahntest Du doch, was Du mir bist und wie ich Dich lieb hab!
Nun zum 2. Theil Deines Briefes! Herzensschatzl, mein Mädel, wenn Du doch wüßtest, wie selig mich ein liebes Wort von Dir macht! Freut mich, daß Dir die Bilder so gefallen! Ja, Du hast recht; das scharf Profil ist mein Sarkasmus; das andere das mit jenem bewußten Blick! Ich weiß alles noch! Nein, ich schreib nie mehr, daß ich durch Dich schlecht gelaunt bin; Du Trotzkopf; aber dafür mußt Du immer immer lieb an mich schreiben! Gelt, Schatz! Sieh, mit Liebe mußt auch Du mir entgegenkommen! Ich bin Dir nicht böse, nur so unsagbar gut! Wenn Du jetzt hier wärest, dann würde Dich Dein Trollhätta halb todt küssen u. drücken! Aber, Liebling, fürchte Dich nicht, ich werde so [dreifach unterstrichen:] zart sein zu Dir! Und was Du mir für eine Freude machst, daß ich Dein Bild 2x bekommen soll! Ach, kämen die Bilder doch balde, balde, balde, ich kann’s ja nimmer erwarten! Jetzt wenn Du hier wärest, wärest Du schon wieder mal halbtodt von meinen Küssen! Aber ich dank es Dir [vierfach unterstrichen:] so sehr! So sehr danke ich Dir! Ich werde Dir eine Freude wieder dafür machen! Gelt!
Baue auf mich, vertraue mir: ich überarbeite mich nicht! Sei ohne Sorge! Der mich so beseligende Gedanke an Dich macht ein überarbeiten unmöglich!
In dieser Woche war ich mächtig faul; habe viel lesend auf meinem Divan gelegen, bin spazieren gegangen u. hab doch jeden Tag fast 20 M verdient! Als meine so geliebte u. angebetete süße Frau wirst Du nie trübe Stimmungen haben! Auch körperlich wirst Du Dich wohler fühlen, weil Du [dreifach unterstrichen:] nur Ruhe u. Frieden hast! So, weißt Du es vielleicht jetzt noch nicht gewiß, daß ich Dich gar so lieb hab?
So, an mich hast Du gedacht, als die Dame das zu Dir sagte! Du sollst immer an mich denken! Ob, ich in den 2 Jahren Sehnsucht nach Dir gehabt habe! – Die Antwort auf diese Deine Frage gibt Dir wohl am Besten die Thatsache, daß ich mich [dreifach unterstrichen:] so um Dich bewerbe! Aber höre, 20 Personen bei unserer Hochzeit – o, das ist ja schrecklich viel! Geht’s nicht mit weniger Leuten! Ja, um 11 Uhr Trauung (Kirche u. Standesamt – u. 4 Uhr nach München in unser Nestchen!)
Dem Mann Deiner Freundin ist nicht zu helfen, da ihm der Wille fehlt! Seine Sinnlichkeit ist nur die Folge von Alkohol! Jeder Mensch hat eine gewisse Portion Sinnlichkeit, u. wird kein Mensch die Sinnlichkeit gänzlich aus sich entfernen können – aber mit viel geistiger Arbeit kann man selbe in das nötige Maß zurückdämmen, u. Alkohol befördert die Sinnlichkeit [dreifach unterstrichen:] sehr! Aber dem Mann Deiner Freundin ist nicht mehr zu helfen! Betreff Deiner Meinung über Adel, Offziersstand völlig Deiner Meinung! Ibsen ist grandios; ein tiefster Denker!
Der Text des Liedes, das ich Dir widmete – nun ich kann ihn Dir nicht mehr schreiben, da er schon fort ist – aber den Schluß kann ich ungefähr noch schreiben: „in jener Stunde gab ich Dir mein Herz zu eigen!“ Es ist sehr fein das Lied u. liegt Dir wundervoll! Das neckische ist famos – auch schon fort; nun Du erhältst es im nächsten Vierteljahr ja gedruckt! Deiner Frau Mama werde ich im Oktober eindringlich genug schreiben; ich sende Dir zuerst den Brief zum Duchlesen! Berthel soll auch keinen Apfelwein trinken! Ist sie herzleidend in Folge ihres Gelenkrheumathiesmus [sic], dann weg mit allem Alkohol; [dreifach unterstrichen:] viel Citronenlimonade trinken; womöglich Citronen essen; denn Citronen sind ein Vorbeugungsmittel gegen Rheumathis!
Und nun hab ich alles in Deinem Brief beantwortet! Nächsten Montag 1. Juni beginne ich mit der Symphonie [WoO I/8]! Montag nachmittags 4 Uhr bin ich bei Schillings geladen! Paß auf: Widmung B. von Seckendorff ist doch richtig; ich hab’s schon so fortgeschickt!
Nun laß Du mein wunderlieb Mädi, mein süß, süß Bräutchen ein bißchen plaudern! Komm, setz Dich zu mir, schmiege Dich nah, nah an mich, daß Dein Köpfchen an meinem Herzen ruht u. Deine Äuglein, wenn Du aufsiehst, ich sehen kann u. tief, tief in Deine Äuglein sehen kann! Laß Dir zuerst in’s Ohr flüstern, daß ich Dich gar so übermenschlich lieb habe; es lebt niemand, niemand mehr, der Dich so lieb hat als ich! Und wie sollst Du es bei mir so wunderschön haben! Nie, nie, nie sollst Du ein hartes Wort von mir hören; immer soll heißeste, zärtlichste, hingebendste u. treueste Liebe Dich umgeben; sorgen werde ich für Dich, daß nie, nie, nie, nie Sorgen Dich bedrücken! Frieden sollst Du bei mir finden – alles – alles. Ein Meer von Zärtlichkeit soll Dich umgeben u. Liebe u Liebe soll Dich führen! Nur ein bißchen lieb mußt Du mich haben; meine Arbeit mußt Du segnen; vor jeder Arbeit (früh u. nachmittags) mußt Du mich auf die Stirne küssen! Gelt! Dein Herz schenke mir! Bleib mir so unendlich treu wie ich Dir so treu bin! Höre, fühle, süß Liebling, wie mein Herz für Dich schlägt! Sieh, da wohnst Du u. thronst Du als meine so unsagbar geliebte Herzenskönigin! Sei guten Muthes; alles, alles wird recht u gut werden! Bleibe standhaft, fürchte Dich nicht zu sehr vor dem Kampfe!
O, mein Genius, wenn Du wüßtest, was ich alles von Dir träume! O, so nachts, wenn alles ruhig ist, ich liege in meinem Bette, : Der Mond scheint auf mein Lager („Traum“, op 62) O, wenn Du wüßtest, was ich da alles in die Kissen flüstere u. stammle – ich glaube, wenn Du alles wüßtest, Du hättest mich sofort sehr, sehr lieb! Aber warte nur, wenn Du mein Bräutchen, meine Frau bist, dann, dann sage ich Dir alles; alles sage ich Dir, wenn wir das erste mal zusammen sind als Braut u. Bräutigam! Gelt! Freu Dich nur darauf; ich weiß, ich kann sehr, sehr lieb sein! Ich weiß, ich kann eine Frau, die ich so liebe, wie ich Dich, berauschen an meiner Liebe, an meinem Glück! Glaub mir’s!
Und Liebling, gelt: wenn Du meine Frau bist, dann sage ich zu Dir immer: Liebling; mir gefällt das Wort „Liebling“ für Dich gar so gut! Ist es Dir recht wenn ich Liebling zu Dir sage? [dreifach unterstrichen:] Schreib mir darüber! Gelt!
Komm, ich muß Dir gerade tief, tief tief in Deine wundersüßen Äuglein sehen; gelt, ich darf es! Bin ja Dein; da darf ich in Deine Äuglein sehen – o tief, tief u. lange, lange, lange! Sei nicht böse, wenn ich Dein Mündchen mit unzähligen Küssen bedecke, so daß Du kaum athmen kannst – aber ich hab Dich ja gar gar, gar so unendlich lieb! Komm, laß uns schweigen; es ist so wundervoller Abend! Ich weiß, in 1 Jahre spätestens, sitzt meine süße, süße Frau mit mir am Fenster, eng an mich geschmiegt, mit meinen beiden Armen umschlungen; wir sprechen nicht viel, denn das Glück wohnt in uns; süßestes, reinstes Glück wohnt bei uns, in uns; nur leise flüstre ich Dir ins Ohr, daß ich Dir so unsagbar gut bin, daß ich so selig bin; ich weiß, dann hast Du mir schon längst Dein Herz geschenkt; ich weiß, oft u. oft wirst Du leise, leise Thränen vergießen, weil sich wie ein Wunder vor Dir entfaltet meine so treueste, reinste, heiligste, anbetende Liebe u. Zärtlichkeit zu Dir!
O, wie ich mich sehne nach dem Tage, wo Du meine Frau wirst – o, Mädi, Liebling, kannst Du Dir das vorstellen! Und gestern machten Emma & ich mit Ulrich’s einen so schönen Ausflug in das herrliche Isarthal; nur Waldwege, auf denen man gerade zu zwei gehen kann! Ich hab’ 2 Stunden lang immer daran gedacht, wie selig ich bin, wenn ich Dich auf demselben Wege am Arme führe! O, und wenn dann der Weg weniger gut zu gehen wird, dann heb ich Dich auf u. trage Dich; Schatzl, da mußt Du Dich jetzt schon drauf gefaßt machen, daß ich Dich oft, oft, oft tragen werde! Denn was man so unsagbar, so unsagbar lieb hat wie ich Dich – ein solches Wesen das ist das höchste Kleinod, mein Lebensglück bist Du – u. oft, oft, oft werde ich Dich auf beide Arme nehmen u. Dich tragen! Du sollst nicht nur im Bilde auf den Händen getragen werden! Freu Dich auf die Zeit! Du sollst u wirst es so unendlich schön haben bei mir! Und ich weiß, wie meine Seele sich dann ausspannt u wächst u. wächst – ich weiß es: was werde ich erst dann schaffen können! Welche Lieder werde ich erst dann an Deinem Herzen schreiben! Denn, so wie Du immer u. immer an meinem Herzen sein sollst, so soll u. muß ich dann immer u. immer an Deinem Herzen sein! Und wie oft werde ich vor Dich hinknien, Deine Händchen fassen u. Dir aus so so dankerfülltem Herzen Dank sagen für das unendliche Glück, was Du mir gibst! Sei dann nicht böse auf Deinen Max, wenn er nur bittet: „sei mir gut, hab mich lieb“! Schenk mir Dein Herz!“ Sieh, ich kann Dir, Liebling, Herzensmädi, mein Herz ja nicht mehr schenken, da es Du ja schon lange, lange ganz u. gar hast! Fürchte Dich nicht vor Deinem Trollhätta! Nie werde ich es wagen, Dich zu liebkosen, wenn ich nicht sehe, daß Du es gern hast, wenn ich Dich ans Herz nehm u. Dich liebkose, wie eine Frau noch nie so zärtlich, heiß liebkost worden ist! Wie oft werde ich Dein Köpfchen zwischen meine beiden Hände nehmen, Dir lange, lange, lange tief, tief tief in die Augen sehen! Aber nur dann, wenn ich sehe, mein Frauchen sehnt sich nach meinen Küssen, nach meiner Liebkosung! Sei ohne Sorge! Nie, nie werde ich Dein Zartgefühl ve[r]letzen! Und alles, alles, alles einander beichten! Nie werde ich nur im geringsten Gedanken haben, den ich Dir nicht sofort sage! Gelt, mein süß Mädi! O, ich hab Dich lieb; so lieb; u. niemand mehr, niemand mehr kann Dich so lieb haben als ich Dich habe!
Etwas trauriges muß ich Dir schreiben! Meine Mutter ist krank, d.h. nicht körpe[r]lich schlechter; sondern sie hat mal eine Zeit, wo sie mit jedem ohne allen Grund Krach machen muß! Ich lobe mich nicht – aber sie kann sehr weit suchen, bis sie einen Künstler von meinem Ruf, meinem Einkommen etc etc findet, der so bescheiden in seinen Ansprüchen ist, der so mit Allem zufrieden ist wie ich; trotzdem sie sich in keiner Weise, aber auch in keiner Weise über mich nur im Geringsten beklagen kann, nun sie mußte letzten Dienstag mit mir ohne jeden Grund Krach machen! Nun, ich diente ihr, daß sie es ihr Leben lang nicht vergißt; ich zeigte ihr eine solch eiserne, unbeugsame Energie, daß sie voller Entsetzen zu Ulrich’s ging – aber vom Regen in die Traufe kam, indem ihr die Ulrich’s schon feste zusetzten, sie sollte mir das Leben nicht so schwer machen! Wir alle (mein Vater, Emma, die das sanftmuthigste [sic] Geschöpf der Welt ist) thun alles um sie nicht aufzuregen, weil wir wissen, daß sie krank ist! Aber nun – auch mit diesen beiden mußte sie Krach machen aber ohne jeden Grund u. zwar so, daß Loritz, Ulrich’s ganz entsetzt sind! Natürlich mußte sie Ulrich’s u. Loritz ebenfalls sehr verletzen! Beide Ulrich’s, beide Loritz versicherten mir u. meiner Schwester, daß sie einfach gingen, wenn man einem das Leben so schwer macht! Mit mir fängt sie nicht mehr an; vor mir fürchtet sie sich; sie weiß so genau, daß sie von mir für jedes unfreundliche Wort, das sie Dir geben würde, schon so bedient würde, daß ihr gründlichst jede Lust zur Wiederholung verginge! Meine Mutter weiß, [vierfach unterstrichen:] wie ich Dich achte u. ehre – u. getraut sich [dreifach unterstrichen:] nie, Dir ein unfreundlich Wort zu sagen – denn sie weiß auch, was dann von mir geschähe! Sie kennt meine Energie! Also sei ohne Sorge! In unser Haus kommt kein Unfriede weder von Seite Deiner noch meiner Verwandten! Sei da ganz ohne Sorge; sie hat sich zu Ulrich’s ausgesprochen, daß sie es nie wagen würde, Dir nur ein unfreundliches Wort zu sagen, weil sie wüßte, [fünffach unterstrichen:] wie [dreifach unterstrichen:] ich Dich in Schutz nehmen würde! – Es ist das augenblicklich mit ihr so ein Zustand, der in 8 Tagen wieder vorüber ist – ich schreibe es Dir, damit Du Bescheid weißt; denn sie ist fähig in solchem Zustande, Dir einen Brief zu schreiben u sich über mich zu beklagen, daß ich so unbeugsam bin! Also Du weißt Bescheid, wenn so ein Brief kommt! Emma sagt aber, sie würde nie so schreiben 1.) weil sie (meine Mutter) zu sehr wünscht, daß Du meine Frau wirst 2) weil sie mich zu sehr fürchtet! Bitte, strengste Diskretion gegen jedermann! Aber Du weißt Bescheid! Gelt! Weißt Du, ich bin ein seelenguter Mensch – aber, wer es jemals wagen sollte, Dich zu beleidigen, wenn Du meine Frau bist – ja, Elsa, dann wäre ein Teufel ein Engel gegen mich! Denn so wie ich Dich achte, ehre, übermenschlich liebe, hat noch nie ein Mann seine Frau geachtet, geehrt u. geliebt!
Also vertraue mir, sei mir gut, u. baue auf mich!
Schatzl, fasse folgendes nicht als Arroganz auf: ich glaube, ich hätte in jedem Beruf (ausgenommen Infanterieoffizier) was Gehöriges geleistet! Wenn ich oft so sehe, wie Leuten in anderen Berufen was schwer fällt, was mir jetzt ohne Vorbildung für jenen Beruf eine Kleinigkeit ist – na, da sehe ich erst, was mir Gott für Anlagen in jeder Hinsicht gegeben hat! (Nur Talent für fremde Sprachen habe ich wenig.) Aber als Elektrotechniker, Mathematiker, Physiker, Jurist etc etc. etc. – ich hätte sie alle in Schatten gestellt! Es ist Thatsache: auf den Schulen habe ich zu Hause niemals, niemals was gelernt, sogar die schriftlichen Arbeiten nicht mal gemacht – u. trotzdem stets der Erste mit nur Note I in allen Fächern! Dazu ein phänomenales Gedächtnis!
Es ist nicht Arroganz von mir! Aber weißt, Straube sagte schon oft zu mir, ich könnte gar nicht stolz genug sein – denn ich kann ein Bach u. Beethoven zusammen werden u. was das „Musikalisch sein“ betrifft, so schlüge ich alle lebenden Musiker!“ Nun, das ist Straube’s Ansicht! Aber das weiß ich, an musiktechnischem Können im Componieren ist heutzutage nur R. Strauß der sich mit mir messen kann! Schön ist das, daß Hausegger u. Schillings in ihren neuesten Liedern den Weg einschlagen, den ich vorausgegangen bin! Wäre ich Klavierspieler von Beruf geworden, ich hätte D’Albert in die Ecke gespielt! So habe ich vor 8 Tagen einen [sic] unserer ersten Pianisten überhaupt beim vierhändigspielen so zugesetzt, daß er „baff“ war u. aus einem Erstaunen ins andere fiel! Schillings behauptet, es wäre geradezu ein Fehler, daß ich so Klavier spielte! Nun im „Sammler“ hier hat keiner der diesen Winter hier aufgetretenen Berufspianisten wie D’Albert, Reisenauer, Ansorge etc etc. solche Kritiken erhalten als ich mit dem paarmal Begleiten! Dabei übe ich nie Klavier! Bitte, nicht als Arroganz auffassen; Du kennst mich, daß di[e]se Eigenschaft mir vollständig fern liegt. Aber ich weiß, erst dann leiste ich das, was ich leisten kann, wenn Du meine Frau bist! O, erst dann werde ich spi[e]len, wenn ich meine angebetete Frau, meinen so süß geliebten Liebling, unten sitzen sehe! Gelt, sei nicht böse, wenn ich Dir die [dreifach unterstrichen:] 3 No 20 der Musikwoche nicht gleich mitsende; aber ich erhalte meine Autoren[e]xemplare erst; ich hab keines mehr sobald sie kommen, sende ich sie Dir sofort! Sag, wird Dir nicht angst, wenn ich jährlich 100 M für Zeitungen ausgebe? Sei ohne Sorge; ich verdiene an Zeitungen mindestens 400 M jährlich! Gelt!
Heute hab ich erfahren, daß ein bekannter Leipziger Musikschriftsteller in der bekannten illustrierten Zeitschrift „Daheim“ nächstens Biographie über mich veröffentlicht! Nun, das ist ein gutes Zeichen! Muß doch schon recht bekannt sein!
Aber weißt Du, stolz, stolz werde ich auf Dich sein, daß es nur so eine Art hat! Gelt, mein Mädi, mein Liebling, Du schreibst mir balde lieben, lieben Brief, großen, großen Brief! Jetzt, wenn Du da wärest, bekämst Du einen langen, langen Extrakuß, weil Du gar so lieb warst u. Dich sogleich photographieren ließest! Kannst Du es Dir denken, wie ich mich nach Deinen 2 Bildern sehne u. mich freue? Kannst Du es Dir denken, wie ich mich nach Dir selbst sehne? O, wenn Du das wüßtest! Es wird nun Zeit zum Schließen; es ist spät; morgen früh schreibe ich weiter u. trage um 8 Uhr selbst die Sachen auf die Post, damit Du ja Deinen Sonntagsbrief hast! Gelt!
Sobald die Exemplare von Musikwoche kommen, sende ich Dir noch 2 Exemplare! Heute sandte ich Gustav Falke die Gedichte zurück! Es waren wundervolle Sachen dabei! Schatzl, süß Mädi u. Liebling, zu Weihnachten u. zu unserem Hochzeitstag habe ich mir viel ausgedacht, was Dir sehr, sehr viel Freude machen wird! O, ich weiß, was mein Mädel gern hat!
Nun, leb wohl! Grüße Deine Frau Mama, Berthel, Tante bestens von mir! Emma sendet Dir schönste Grüße! Ebensolche Grüße von Ulrich’s! Das ist allemal ein Fest für die 2 Ulrich’schen Jungens (2 famose Bengels) wenn ich komme; denn dann wird’s hochfidel; stell Dir das Bild vor, auf den Spaziergängen habe ich an jeder Hand so einen Knirps u. die Kerle kommen aus dem Laufen nicht heraus, solche Dummheiten mache ich mit ihnen; letzthin begegneten uns viele Bekannte, die sich halb krank lachten über das Bild! Aber ich muß die 2 Bengels führen, sie geben nicht eher Ruhe; süß Schatzl, wenn uns Gott ein solch klein Wesen auch versagen sollte, nie, nie würdest Du von mir einen Vorwurf erhalten! Niemals! Denn ich ehre, achte u. liebe Dich zu sehr! Sei ganz unbesorgt!
Nun gute Nacht; nun kommt die schönste Stunde: im Bette liegend, zum Sternenhimmel aufsehend (das Fenster ist direkt neben meinem K[o]pf) denke ich nur an Dich u. so heiß, zärtlich u rein an Dich Du mein herzlichst geliebtes Mädel!
Sei mir gut; bleib mir gut u treu!
Denk an Deinen Max
[rechts daneben:] Gute Nacht!
Schlaf gut!
Bitte Umwenden [dreifach unterstrichen:] verte
Guten Morgen mein süß Liebling; hast Du gut geschlafen? Ja? O, ich bin seit 5 Uhr wach u. habe immer an Dich gedacht! Es ist jetzt 7 Uhr; gelt, Du Mädel, schickst mir die 2 Bilder recht recht balde! Hoffentlich ist Dein Photograph nicht so teuer wie der hiesige; der Spaß kostet mich 40 M. Gelt, die 2 Exempl vom Choral [WoO VII/34] erhältst Du baldmöglichst; ich weiß auch nicht, was diesmal für eine Verzögerung dabei ist, daß ich meine Autorenexemplare noch nicht habe! Nun freue ich mich unbändig auf die Bilder, o, wenn ich sie doch schon hätte! Gelt 2 Stück bekomme ich! Bitte, packe sie wegen der Post ja sorgfältig mit Pappdeckel ein; es passiert sonst zu leicht etwas damit! Du Liebling, Herzensdieb du böser, gelt, nun bist Du mir ganz, ganz gut! Nicht mehr Trotzköpfchen sein, gelt!
O, ich hab heut nacht wieder so viel von Dir geträumt! Schatzl, wenn Du das alles wüßtest! Nun packe ich die Noten zusammen; es ist recht dumm, daß ich die Musikwoche noch nicht habe – allein ich kann nichts dafür! Du, Liebling, mein süß Mädel, denk Du oft an mich, – gelt! Und wenn Du mir wieder schreibst, was ich recht, recht recht balde zu thun bitte u. großen, großen, großen Brief, lieben Brief, so geb’ Du bitte denselben nicht vor nächsten Montag mittag auf! Gelt, spätestens Mittwoch früh erhalte ich Brief! Und die 2 Bilder? Gelt, Du schickst sie mir baldigst!
Nun leb wohl, denk Du immer an mich, so wie ich immer an Dich denke, u. sei nicht mehr verzagt; gelt! Kopf hoch! Bist Du meine so unsagbar geliebte Frau, o, dann werden nie, nie trübe Stimmungen Dich beeinflussen; niemals!
Gelt, grüße Deine Frau Mama, Berthel, Tante bestens von mir! Emma, Ulrichs senden Dir schönste Grüße!
Adieu, mein Herzensmädel, verlebe den Sonntag recht schön u. sei nicht mehr traurig und verzagt; ich halte ja so felsenfest zu Dir! Bist Du böse, wenn ich Dir einen leisen, leisen Kuß sende? Nicht böse sein! Bitte, bitte.
Leb wohl, denk Du immer an mich u vergiß nie, daß ich Dich gar so unendlich lieb habe! Balde kann ich Dir wieder Noten senden mein Mädi! Adieu; o, ich würde jeden Tag an Dich schreiben, wenn es nur nicht zu auffällig wäre.
Dein Max.
Object reference
Max Reger to Elsa Reger, München, 30th May 1902, in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/mri_postObj_01004249.html, version 3.1.0, 23rd December 2024.
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