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Christopher Grafschmidt

1.

Mit Musikbeilagen in Zeitschriften vertreten zu sein, bedeutete für Reger, mit leichteren Werken die Kreise der häuslichen Musikliebhaber und ambitionierten Laien, aber etwa auch der Kantoren, ohne allzu großen Aufwand direkt zu erreichen und auf diese Weise seinen Namen in der musikinteressierten Welt bekannt zu machen. 1

Regers erster Kontakt mit dieser Publikationsform geschah dabei eher zufällig, als der Herausgeber der Allgemeinen Musik-Zeitung (AMZ) Otto Leßmann im Oktober 1893, nachdem Heinrich Reimann im Juli-Heft die erste echte Würdigung Reger’scher Werke (siehe Rezension der Opera 1–4, 6) veröffentlicht hatte, ihm nicht nur eine Mitarbeit als Rezensent anbot (vgl. Brief Regers vom 31. Oktober an Leßmann), sondern auch die Möglichkeit eröffnete, mit dem Choralvorspiel »O Traurigkeit, o Herzeleid« WoO IV/2 erstmals eine Musikbeilage zu veröffentlichen. In The Monthly Musical Record, der Hauszeitschrift von Regers damaligem Londoner Verleger Augener & Co., erschien ebenfalls im Frühjahr 1894, möglicherweise als Ausgleich für das entgangene Werk, ein weiteres Choralvorspiel: »Komm, süßer Tod!« WoO IV/3. Beide Veröffentlichungen hatten jedoch keinen nachhaltigen Effekt – auch nicht auf Reger, der erst nach seiner Rückkehr nach Weiden im Juni 1898 dieses Medium für seine Zwecke wiederentdeckte. Dennoch scheint er auch in seiner Wiesbadener Zeit dem Zeitschriftenmarkt und dessen Mechanismen durchaus Aufmerksamkeit geschenkt zu haben: “Heute erhielt ich Brief von zu Hause, daß Deine [= Adalbert Lindner] Kinderlieder in der [Musikalischen] Jugendpost gedruckt werden – das ist ja famos – allein ich rate Dir nicht auf diesem Wege – wohlverstanden nur als Komponist für Grüninger zu arbeiten – weiterzugehen – da Du Dich in die allerunglaublichsten Konzessionen einlassen müssen würdest – denn das so unglaublich seichte Lesepublikum dieser Zeitung alias Backfischunterhaltungsblatt verlangt nur so angenehm beim Kaffee Musik zu genießen. Also wenn Grüninger recht viel Kompositionen haben will – Vorsicht – u. Vorsicht. In den Augen der wirklich verständnisvollen Künstler ist ein Komponist sehr sehr schnell verurteilt. Du sollst Dich über die Sache, daß Grüninger die Sachen druckt nur freuen, selbstverständlich, – aber allmählich auch an höhere Ziele denken.”2 Carl Grüninger war ebenfalls Herausgeber der Neuen Musik-Zeitung, die zu einem der wichtigsten Verbreiter Reger’scher Musikbeilagen werden sollte.

Zwar sollte Reger nach dem vorzeitigen Bruch mit Augener im Sommer 1898 durch die Vermittlung von Richard Strauss und wohl auch Caesar Hochstetter im Frühjahr 1899 mit Jos. Aibl einen neuen Hauptverleger finden, doch, so Lindner, “galt es nun nahezu wieder von vorne zu beginnen”: “Regers Name als Komponist war in der deutschen Künstlerwelt damals noch recht wenig bekannt. Die vereinzelten Aufführungen seiner Erstlinge in Berlin, Danzig, Wesel, Frankfurt a.M., Wiesbaden hatten keinen unbestrittenen Erfolg gehabt, und die günstigen Besprechungen der Werke in verschiedenen Musikzeitungen waren mittlerweile der Vergessenheit anheimgefallen oder wohl überhaupt übersehen worden.”3 Zumal Reger während der vorangegangenen drei Jahre in der Presse, sieht man einmal von The Monthly Musical Record ab, so gut wie nicht präsent gewesen war. Diesen Bann brach Caesar Hochstetter im November 1898 mit eine zweiteiligen Biographisch-Kritischen Skizze in der Leipziger Zeitschrift für Musik und Litteratur »Die Redenden Künste«. Eine positive Folge dieser Würdigung war die Erstveröffentlichung des Elsa von Bercken gewidmeten Liedes In verschwiegener Nacht WoO VII/20 als (wenn auch einmalige) Beilage der »Redenden Künste« im Juni 1899.

Es ist anzunehmen, dass Reger im Zuge dieses Neustarts Musikbeilagen in prominenten Zeitschriften als Chance entdeckte, sich einem breiten Publikum als aufstrebender, ernstzunehmender Komponist für alle Gattungen zu präsentieren (vgl. Choralvorspiele für Zeitschriften 1899–1901), und sich daraufhin gezielt den jeweiligen Verlegern andiente bzw. mit zunehmender Bekanntheit auch von diesen dahingehend angesprochen wurde. So schrieb er etwa am 17. Februar 1900 an Alexander W. Gottschalg: “Und noch eine Frage: Wäre der Herr Verleger der Urania nicht zu bewegen, mal von mir ein 2 Seiten langes Choralvorspiel für Orgel als Beilage zu bringen? Ich würde selbstredend das Vorspiel gratis liefern!« (Brief)” Da so etwas im Konzept der Urania nicht vorgesehen war, wurde in diesem Fall nichts daraus. Aber Regers Strategie, zumal auf verschiedene musikalische Bereiche (Klavier- und Kammermusik, Lieder und Chöre sowie Choralvorspiele) abzielend, ging nichtsdestoweniger auf, und so wurde in den Jahren 1900 bis 1902 der Markt mit Musikbeilagen aus seiner Feder geradezu überschwemmt (siehe Übersicht). Neben der Neuen Musik-Zeitung dienten ihm dabei vor allem Die Musik-Woche, die Blätter für Haus- und Kirchenmusik und die Monatschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst als Plattform. Im Falle der Blätter war die Zusammenarbeit besonders nachhaltig, da Beyer & Söhne ab 1904 sämtliche Beilagen (inklusive jener aus der Monatschrift) unter der Opuszahl 79 in Heftform wiederveröffentlichten.

Gelegentlich geriet diese Arbeit zwar zur Fron, wie er am 30. Dezember 1900 gegenüber Josef Loritz klagte: “Ich habe rasend zu thun! Ich habe für alle möglichen Zeitschriften Beilagen zu schreiben etc. etc., so daß ich oft kaum weiß, wo zuerst anfangen.”4 Dennoch leistete er sie “insofern nicht ungern, weil dadurch der Name doch auch ein bißchen unter die Leute kommt; außerdem werde ich ja ganz nett honoriert dafür. Man kann ja „ausruhen“ dabei.”5 Der finanzielle Vorteil war mit Blick sowohl auf die zu begleichenden Schulden aus seiner Wiesbadener Zeit als auch auf seine spätere Heirat von nicht unerheblicher Bedeutung, wie er mehrfach gegenüber seiner Braut betonte: “Für Musikzeitungen gebe ich jährlich circa 100 M aus; doch verdiene ich da 400 M mindestens!” (Brief vom 25. Mai 1902) “Von den 3 kleinen Stücken fü[r] die Musikwoche, habe ich schon eines geschrieben; eines schreibe ich dann in Schneewinkl, das dritte dann anfangs September wieder hier, dann bekomme ich im Januar 75 M dafür; von anderen Musikzeitungen bekomme ich ja so nebenbei auch immer was; macht doch so 100 M mindestens im Jahr! was die anderen zahlen (die Musikwoche 300 M)” (Brief vom 12. August 1902). Und wenn er auch mit einigen Zeitschriften auf Kriegsfuß stand, so näherte er sich doch nach Jahren der gegenseitigen Miss- oder gar Verachtung der Allgemeinen Musik-Zeitung wieder an: “Gestern abend von 8–12 bei Leßmann mit Loritz eingeladen; ihm fast alle meine Lieder vorgesungen! Er (Leßmann): „wunderbare Sachen“ – er war sehr entzückt; er bringt Lied von mir als Beilage. Er ist „Butter“ in meinen Händen; ich werde über Renner in seiner Zeitung schreiben! Gelt, da schaust! Volle Versöhnung! (Postkarte vom 10. Januar 1901 an Adalbert Lindner)

Etwa mit seinem Umzug nach München im September 1901 drosselte Reger seine Beilagen-Produktion, zumal alle relevanten Zeitschriften gut versorgt waren und er neben seiner kompositorischen Tätigkeit nun viel Zeit darauf verwandte, sich im Münchner Musikleben als Liedbegleiter oder auch (zumindest für eine Weile) als Kritiker zu etablieren. Außerdem wollte er wieder ein größeres Augenmerk auf künstlerisch anspruchsvollere Arbeiten legen – eine Grundeinstellung, die er noch 1910 angelegentlich der Sammelausgabe mehrerer Klavierstücke gegenüber dem mitvertreibenden Verlag Breitkopf & Härtel zu betonen sich genötigt sah: “Ich betrachte dabei „Blätter u. Blüten“ [WoO III/12] mit gemischten Gefühlen; vor unzähligen Jahren – als die Arche Noah noch nicht ganz fertig war zur Aufnahme der verschiedenen Arten der „Viecher“ – schrieb ich diese Kleinigkeiten für Musikzeitungen als Beilagen – nun, weil Zeppelin fliegt u. alles fliegen will – fliegen diese Blätter u. Blüten eben auch. Es wäre mir aber – offen gestanden lieber, wenn ich in Ihrem Verlage durch große Werke vertreten wäre.”6

Im September 1900 erschienen im Kunstwart mit zwei Liedern aus den Opera 31 und 37 erstmals bereits gedruckte Werke nachträglich als Musikbeilage. Auch die beiden Lieder aus den Opera 51 und 62, die nach Regers Aussöhnung mit Otto Leßmann (s.o.) noch der AMZ beigelegt wurden (Oktober 1901 bzw. Juni 1902), waren bereits publiziert. Ein Aufmerksamkeit erregendes Beispiel war hier die Beigabe einer ganzen, kurz zuvor veröffentlichten Choralkantate (»Vom Himmel hoch, da komm ich her« WoO V/4 Nr. 1) im Dezember 1903 in der Monatschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst. Diesen Weg der Zweitverwertung beschritt Reger noch mal 1906/07, als er der Neuen Musik-Zeitung bzw. dem Kunstwart Stücke aus den populäreren Opera 76 (Schlichte Weisen) und 82 (Aus meinem Tagebuche) überlies. Umgekehrt stellte er ab 1904 auch gelegentlich Stücke aus diesen beiden Opera zum Vorabdruck zur Verfügung. Eine unabhängige Strategie wiederum verfolgte der Verlag Beyer & Söhne, der ja im Besitz zahlreicher Beilagen war und diese nach Gusto verwerten konnte.

Ab 1903 schrieb Reger Musikbeilagen wohl nur noch auf Anfrage. So etwa 1905 das Perpetuum mobile cis-moll WoO III/19 für den befreundeten Musikwissenschaftler Arnold Schering, der die Redaktion der Neuen Zeitschrift für Musik übernommen hatte. Oder Ehre sei Gott in der Höhe WoO VII/37 für die Weihnachtsbeilage des Berliner Tageblatts. Im Sommer 1906 entstand die Caprice fis-moll WoO III/21, “ein „wüstes“ Klavierstück für das neue Buch „Moderne Musik“ von Dr. O. Bie […]; An den 2 kleinen Seiten […] können sich unsere Theoretiker gründlichst die Zähne ausbeißen!” 7 Und im Sommer 1907 für Die Musik als musikalische Illustration seines kämpferischen Artikels Offener Brief (RWA Schriften A9) das »Salonstück« Ewig dein! mit der ironisch selbstkritischen Opuszahl »17523«, der Vortragsanweisung »Noch schneller als möglich« und dem auf den missliebigen Kritiker Carl Krebs gemünzten Hinweis: “Ich bitte dieses Stück von rückwärts – also à la „Krebs“ – zu spielen; es wird dann für „dissonanzensaubere u. tonalitätslüsterne“ Ohren wesentlich erträglicher klingen.”


1
In der Musikwissenschaft ist »diese außerhalb der Möglichkeiten und Spielarten des üblichen Musikalienhandls liegende Publikationsform« bislang noch nicht Gegenstand vertiefter Forschungen gewesen. Otto Biba spricht diesbezüglich von einem »ausgesprochene[n] Desideratum« (»Musikbeilagen in musikalischen wie nicht-musikalischen Periodika: Beobachtungen zu Anliegen, Charakter und Aufgaben«, in Musik und musikalische Öffentlichkeit. Musikbeilagen von Carl Philipp Emanuel Bach. Ludwig van Beethoven, Robert Schumann, Franz Liszt, Richard Wagner und anderen Komponisten in Zeitungen, Zeitschriften und Almanachen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, hrsg. von Ulrich Tadday, Bremen 2013 [= Presse und Geschichte – Neue Beiträge, Bd. 77), S. 11 (ebenso vorheriges Zitat).
2
Brief vom 6. Dezember 1894 an Adalbert Lindner, zitiert nach Der junge Reger, S. 221f.
3
Lindner 1922, S. 164.
4
Brief, Privatbesitz, Kopie im Max-Reger-Institut, Karlsruhe.
5
Brief vom 26. Dezember 1900 an Wilhelm Lamping, Max-Reger-Institut, Karlsruhe, Signatur: Ep. Ms. 171; auszugsweise veröffentlicht in Meisterbriefe, S. 79.
6
Brief vom 28. September 1910, Meininger Museen, Sammlung Musikgeschichte/Max-Reger-Archiv, Signatur: XI-4/3316, Bl. 52.
7
Brief vom 10. September 1906 an Lauterbach & Kuhn, in Lauterbach & Kuhn-Briefe 2, S. 190.
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Authors:
Christopher Grafschmidt

Date:
18th June 2018

Tags:
Module IIChoirsVol. II/2Vol. II/3Vol. II/8

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Christopher Grafschmidt: , in: Reger-Werkausgabe, www.reger-werkausgabe.de/rwa_post_00016, last check: 21st November 2024.

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